Glosse: Ramponierter Weltrichter

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ürfen sich die USA nach wie vor, wie sie es seit Jahr zehnten getan haben, als Weltrichter in Sachen Menschenrechte aufspielen? Und dürfen sie andere Staaten benoten, wie sie bei der Erfüllung der Menschenrechte abschneiden? So wollen sie derzeit gerade wieder den Chinesen bei der UN-Menschenrechtskommission in Genf ein schlechtes Zeugnis unter die Nase reiben.

Sie dürfen natürlich, nur sehr ernst genommen werden die Amerikaner als Menschenrechtsanwalt gegenwärtig nicht. Nicht mehr, seit die jetzige US-Regierung den Unilateralismus und die Doppelmoral zu außenpolitischen Maximen erklärt haben; nicht mehr, seit sie dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus auch das Völkerrecht unterordnen - siehe die Gefangenen von Guantanamo auf Kuba.

Dabei ist überhaupt keine Frage: China ist noch immer ein schwerer Sünder in Sachen Menschenrechte: Seien es der brutale Umgang mit ethnischen und religiösen Minderheiten; seien es massenhaft vollstreckte Todesurteile und ein barbarisches Strafsystem; seien es staatlich beschnittene politische, aber auch wirtschaftliche und soziale Rechte der Bürger.

Aber Peking kennt die momentane antiamerikanische Stimmung in der Welt natürlich gut. Genau deshalb schlägt China jetzt sofort zurück, wenn die Amerikaner wieder einmal den Zeigefinger gegen die Menschenrechtsverletzungen erheben. Zudem: Wenn Washington auf einmal wieder schärfere Töne gegen China, zuletzt übrigens auch gegen Russland anstimmt, so riecht das sehr nach amerikanischem Wahlkampf, in dem es gilt, diverse Wählergruppen wohlgesonnen zu stimmen.

Das alles ist höhere Politik. Ob es aber der Verbesserung der Menschenrechtslage irgendwo, irgendwie konkret etwas nützt, darf bezweifelt werden.

b.bischof@diepresse.com

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