Russland: Putins fatale Richtungsentscheidung

Der Keulenschlag aus dem Kreml gegen die Oligarchie verheißt nichts Gutes für die politische Entwicklung in Russland, analysieren Experten.

WIEN. "Ich fürchte, Russland ist auf dem Weg zu einer autoritären Demokratie." Der Befund Botschafter Franz Cedes, bis diesen Sommer Österreichs Botschafter in Moskau, über die weitere Entwicklung in Russland fällt in der Grundtendenz pessimistisch aus. Cede sprach am Freitag beim Symposion "Kontinuität und Wandel in Russland", das die Gesellschaft für Ostkooperation in der Diplomatischen Akademie veranstaltete.

Es war dies bereits die fünfte Fachtagung zum Thema Russland, die in den vergangenen drei Wochen in Wien stattfand. Bei all diesen Veranstaltungen traten international anerkannte Russland-Kenner auf, vor allem Top-Analytiker aus Moskau. Aber Optimismus klang - vor allem nach der Verhaftung des Öl-Magnaten Michail Chodorkowskij - bei den Dutzenden Referaten, die da gehalten wurden, praktisch nie durch.

Lilija Schewzowa von der Moskauer Carnegie-Stiftung, mittlerweile der Star der politischen Analytikerszene in Moskau, sieht Russland durch den Fall Chodorkowskij in einer tiefen politischen Krise. Es gehe um einen Kampf zwischen der monolithischen Macht und den Anhängern demokratischer Strukturen: "Putin hat sich entschieden: Er will den Kapitalismus der Oligarchen loswerden und ihn durch einen Kapitalismus der Bürokraten ersetzten. Bürokratischer Kapitalismus heißt in der Praxis noch mehr Korruption, noch mehr staatliche Kontrolle, noch weniger Freiheitsraum für die Bürger."

Professor Viktor Kremenjuk von der Russischen Akademie der Wissenschaften prophezeite: "Die Silowiki, also die Vertreter der Sicherheitsstrukturen, werden nicht aufhören, ehe sie nicht die völlige Kontrolle über die Gesellschaft haben. Putin führt diese Gruppe zwar bisher an. Aber wenn er sich ihren Bestrebungen einmal entgegenstellen sollte, dann werden sie auch ihn vom Sockel der Macht stürzen." Botschafter Alfred Missong, früher der Leiter der OSZE-Unterstützungsgruppe in Tschetschenien, erinnerte an die Konsequenzen, die dieser seit vier Jahren tobende blutige Krieg in der abtrünnigen Nordkaukasus-Republik für die gesamte russische Gesellschaft habe -, vor allem die Brutalisierung, die dieser Krieg in den Sicherheitskräften des ganzen Landes bewirke. Auch wenn sich Putin bisher dagegen wehre: Missong ist überzeugt, dass sich dieser Konflikt nur noch über eine internationale Vermittlung lösen lassen wird.

Auch Alexej Malschenko, ebenfalls von der Carnegie-Stiftung in Moskau, sieht in Zusammenhang mit Tschetschenien eher düster: Er rechnet sogar mit einer "dritten Runde" des dortigen Bürgerkriegs, wobei sich Rebellen und die Mehrheit der geknechteten Bevölkerung gegen das Regime des vom Kreml protegierten Regimes Achmed Kadyrows auflehnen würden.

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