"Terror kann auch Österreich treffen"

Professor Michael Stürmer zur Zukunft der Nato, der europäischen Sicherheitspolitik und beunruhigenden Entwicklungen in Russland.

Die Presse: Hat die Nato noch eine Zukunft?

Michael Stürmer: Die alte Nato, "Daddys Nato", wie sie Generalsekretär Lord Robertson bezeichnet, die ist Geschichte. Aber für eine neue Nato gibt es eine ganze Reihe militärischer und politischer Aufgaben. Die wichtigste davon bleibt, Amerika als eine europäische Macht zu erhalten.

Im Moment läuft die Internationale Schutztruppe in Afghanistan unter einem Nato-Mandat. Könnten auch die Europäer allein einen solchen Einsatz durchführen?

Stürmer: Die EU soll nicht alles verdoppeln, was es durch die Nato bereits gibt. Die Europäer haben in allen Bereichen viel zu wenig, oft ist ihr militärisches Gerät schon 20, 30 Jahre alt. Bei der deutschen Bundeswehr etwa sind nur ganz schmale Teile wirklich modern ausgerüstet und interoperabel, also fähig, mit modernen Streitkräften anderer Nato-Partner zu kommunizieren und operieren.

Eine EU-Truppe ist also auf die enge Abstimmung mit der Nato angewiesen?

Stürmer: Die europäische Fähigkeit, kleinere bis mittlere Krisen militärisch zu managen, und die Fähigkeit der Nato, diesem Engagement einen Backup zu geben, sind gut miteinander zu verbinden. Krisenmanagement fängt ganz unten an: Zuerst schicken Sie Diplomaten, dann Soldaten, dann noch mehr Soldaten - irgendwann muss der Gegenseite klar werden, dass die Europäer dank Nato fähig sind, immer weiter zu eskalieren. Diese Fähigkeit zur Eskalation erweitert das ganze Spektrum des Krisenmanagements.

Insgesamt bin ich heute beruhigter über die Zukunft der Nato als noch vor einem Jahr. Der Vorstoß des Pralinen-Gipfels - Franzosen, Deutsche, Belgier, Luxemburger -, ein eigenes Hauptquartier und eine Art europäisches Gegenbündnis zu Amerika zu schaffen, der ist vom Tisch. Das hat gerade erst der deutsche Verteidigungsminister Peter Struck in Berlin deutlich kundgetan. Aus den französisch inspirierten Visionen ist also die Luft raus. Was wir jetzt bekommen, ist eine Planungszelle - ein paar hundert Generalstäbler -, die im Nato-Hauptquartier logiert. Das ist auch das Vernünftigste.

Wenn künftig einmal solche EU-Kriseneinsätze in einer Planungszelle im Nato-Hauptquartier vorbereitet werden sollten, wo bleiben dann die neutralen EU-Staaten?

Stürmer: Ich sehe in der österreichischen Neutralität nur noch einen historischen Wert. Seit 1989/1991 hat sich die Welt so radikal verändert, dass man fragen muss, ob Neutralität noch viel Sinn macht. Mir scheint, für Österreich ist die Neutralität eher eine innenpolitische als eine außenpolitische Frage. Es ist ein Selbstverständnisproblem. Die österreichische Neutralität ist die Weiterführung eines Traums, außerhalb der Welt zu stehen. Aber Österreich steht nicht außerhalb der Welt. Der Terror kann auch hier zuschlagen.

Wie beeinflusst das Russland Wladimir Putins die europäische Sicherheitslandschaft?

Stürmer: Niemand weiß, wer in Moskau im Fahrersitz Platz genommen hat. Steuert Putin die KGB-Leute, oder aber steuern die KGB-Leute ihren früheren Agentenkollegen? Jedenfalls nimmt Russland nicht die Entwicklung hin zu einer liberalen Demokratie. Moskau wird mit dem Tschetschenien-Problem nicht fertig, - und diese schwärende Wunde korrumpiert das ganze Land. Und jetzt erleben wir am Fall des Öl-Magnaten Chodorkowskij: Anstatt dass Putin alles tut, um die Verhältnisse weiter zu beruhigen, lässt er alles brachial hinwegfegen - mit Methoden, die mit einem Rechtsstaat nichts zu tun haben: Einschüchterung, Drohungen, Verhaftungen.

Das ist zutiefst beunruhigend. Und das wird natürlich bei allen unseren östlichen Nachbarn - Ungarn, Polen, Slowaken, den Balten - mit größter Besorgnis gesehen. Wir können uns einfach nicht darauf verlassen, dass Russland mit sich selbst und seinen Nachbarn in Frieden lebt. Und damit stellen sich alle Fragen neu - einschließlich die nach der Sinnhaftigkeit einer Achse Paris-Berlin-Moskau.

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