Ein Wüstenkrieg im dichten Nebel

Ein Vergleich von Vorkriegsprognosen in den USA mit dem Geschehen eine Woche nach Kriegsbeginn zeigt markante Diskrepanzen.

Eine Woche nach Beginn der Bodenoffensive im Irak-Krieg gibt es für Militäranalytiker mehr Fragen als klare Antworten, was an Euphrat und Tigris wirklich vor sich geht. Selbst Israels Ex-Generalstabschef Amnon Shahak, der sich aus den vorhandenen Informationen eigentlich ein ganz gutes Bild machen können sollte, gibt zu: "Vorläufig sehe ich nur Nebel."

Dennoch: Was man nach der ersten Kriegswoche wagen kann, ist, die Prognosen, Ankündigungen, Erwartungen, die in den Tagen und Wochen vor Kriegsbeginn in Washington verbreitet worden waren, mit dem zu vergleichen, was tatsächlich in der ersten Kriegswoche passiert beziehungsweise nicht passiert ist. Dabei stößt man auf eine Reihe Faktoren, die von den US-Militärplanern offenkundig nicht richtig eingeschätzt wurden.

Faktor Zeit: Viele rechneten mit einem kurzen Krieg. Vor allem die amerikanischen Medien verbreiteten, dass die Vertreibung des irakischen Regime sehr schnell gehen werde - eher Tage, möglicherweise wenige Wochen, aber sicher keine Monate in Anspruch nehmen werde. Gespeist wurde diese Erwartung gewiss in den diversen Hintergrundgesprächen auch von hohen US-Regierungsvertretern.

Jetzt, da es offenbar doch nicht so schnell geht wie erwartet, weil sich unerwartete Probleme bei der Bodenoffensive ergeben haben, beginnen viele US-Journalisten bereits ungeduldige Fragen zu stellen. Der oberste US-Befehlshaber freilich, Präsident George W. Bush, hat niemals von einem kurzen Krieg gesprochen, sondern wiederholt von einem möglicherweise langen und harten Feldzug.

Faktor Wetter: Über die Hitze, die in wenigen Wochen über Irak hereinbrechen und die Kampfhandlungen massiv beeinträchtigen wird, ist im Vorfeld des Krieges viel berichtet worden; weniger dagegen über Sandstürme und Regenfälle, die Wüsten- in Schlammlandschaften verwandeln. Genau damit aber hatten die US-Soldaten in den vergangenen Tagen zu kämpfen. Die Sandstürme im Zentralirak machten auch die Kampfhubschrauber und Erdkampfflugzeuge zu "lahmen Enten".
Faktor Enthauptungsschlag: Vieles weist darauf hin, dass die USA den Krieg früher als geplant begannen. Der Hinweis eines CIA-Maulwurfs in Bagdad auf den möglichen Aufenthaltsort Saddam Husseins verleitete den US-Geheimdienst dazu, dem Präsidenten zu einem Blitzschlag zu raten. Der willigte in das Präzisionsbombardement ein, aber dieses war offensichtlich ein Fehlschlag. Wobei die CIA-Kalkulation grundsätzlich richtig ist: Saddam Hussein ist der Kopf dieses Regimes; wenn er nicht mehr ist, wird das Regime kollabieren.

Faktor Regimekollaps: Die bisher wahrscheinlich größte Fehlkalkulation der Amerikaner: Von US-Vizepräsident Richard Cheney über Generalstabschef Richard Myers abwärts prophezeiten Spitzenpolitiker und -militärs einen rasch erlahmenden Widerstand zunächst der regulären Streitkräfte, dann auch der Republikanischen Garde. Nichts dergleichen! Bis jetzt gibt es noch keinerlei Anzeichen für eine Auflösung der irakischen Armee und der diversen Wächter des Regimes: Republikanische Garde, Paramilitärs der Saddam-Fedayin, Geheimpolizisten, bewaffnete Baathisten zeigen sich überaus kampfentschlossen. Gerade rund 4000 irakische Soldaten haben nach den einwöchigen Kampfhandlungen kapituliert.

Faktor Befreiungsjubel: "Da kommen wir als Befreier ins Land, und die beschießen uns", sagte ein US-Marineinfanterist, als er in der angeblich schon befriedeten Hafenstadt Umm Qasr plötzlich aus dem Hinterhalt angegriffen wurde. Es war wohl ein Irrglaube der Amerikaner, zu erwarten, dass sie von jubelnden Irakern mit Blumen empfangen würden - und diese Bilder dann auch die Gegner und Skeptiker dieses Feldzugs weltweit überzeugen würden. Aber es gab kaum Jubel, keine Blumen, sondern eine zutiefst misstrauische, abwartende Bevölkerung, selbst im Saddam-feindlichen Südirak.

Da spielt natürlich die üble Erfahrung von 1991 ein Rolle, als die USA die Schiiten im Südirak mit ihrem Aufstand allein und Saddams Republikanische Garde gewähren ließ, als sie 60.000 Menschen niedermetzelte. Da spielt auch die Erfahrung mit dem Regime ein Rolle, das auch im bereits "befriedeten" Teil des Landes immer noch seine Spitzel und Häscher sitzen hat. Erst wenn die Leute sicher sein können, dass Saddam wirklich erledigt ist, werden sie ihre Angst verlieren, wird vielleicht Jubel aus- und der Tag der Abrechnung anbrechen.

Faktor Guerilla: Der bisher gezeigte Widerstandswille des Regimes hat Amerikaner und Briten, wie erwähnt, überrascht. Punktuell sehr geschickt gelang es regulären und irregulären irakischen Verteidigern in den letzten Tagen wiederholt, die mittlerweile schon langen und weitgehend ungeschützten Verstärkungs- und Versorgungslinien der Alliierten zu stören, zeitweise sogar zu unterbrechen. Dies hat die US-Militärführung jetzt dazu gezwungen, sich doch mehr um den Schutz der Nachschublinien zu kümmern. Und es hat unter aktiven und pensionierten US-Spitzenmilitärs eine heftige Diskussion darüber ausbrechen lassen, ob die gewählte Strategie - mit vergleichsweise wenig Bodentruppen, aber viel hochmoderner Waffentechnik einen Regimewechsel in Bagdad herbeizuführen - denn auch wirklich die zielführende sei.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.