Reformstau bei Pensionen, Gesundheit und Verwaltung:

Die neue Regierung wird um weit reichende Änderungen nicht herum kommen.

WIEN. "Es werden jetzt eine ganze Reihe richtiger Schritte gesetzt, das Gesamtkonzept dahinter ist allerdings noch nicht wirklich auszumachen." Der Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS), Bernhard Felderer, zeigte sich am Donnerstag im Gespräch mit der "Presse" noch zurückhaltend über den neuen schwarz-blauen Regierungspakt. Eine Beurteilung sei erst möglich, wenn die  Schwerpunkte tatsächlich festgemacht seien. Die Probleme, die eine neue Regierung lösen muss, hat allerdings nicht nur der renommierte Wirtschaftsforscher in der Vergangenheit mehrfach aufgelistet: nachhaltige Budgetsanierung; Reform zur Sicherstellung der Finanzierung der Pensionen; Gesundheit- sowie Verwaltungsreform; Initiativen im Bereich der Infrastruktur.

Die großen Problem-Brocken sind längst auch von allen vier Parlamentsparteien identifiziert. In der Endphase der schwarz-blauen Regierungsverhandlungen kristallisiert sich heraus, wo der Hebel angesetzt wird. So herrscht sogar über die Grenzen aller vier Parlamentsparteien hinweg Einigkeit, dass es zu einer Reform der Pensionen kommen muss.

Andrang auf die Frühpension

Im Visier sind insbesondere die Frühpensionen. Die Zahl der Neuzugänge in die vorzeitige Alterspension ist seit der schrittweisen Anhebung des Frühpensionsalters durch die schwarz-blaue Koalition im Jahr 2001 um insgesamt eineinhalb Jahre deutlich gebremst worden. Dennoch gingen laut jüngstem Sozialbericht des Sozialministeriums von knapp 100.000 Österreichern, die 2001 in den Ruhestand traten, noch rund 60 Prozent in die vorzeitige Alterspensionen. Im Jahr 2002 gingen nur 14 Prozent der Männer in die "normale" Alterspension.

Vom Rekordstand von rund 241.000 Frühpensionen ist allerdings die Zahl der Frühpensionen mit Stand Ende Jänner 2003 auf 206.594 zurückgegangen und somit auf den niedrigsten Stand seit dem Jahr 1997.
Das durchschnittliche Pensionsantrittsalter lag mit 58 Jahren (im Jahr 2000 im Schnitt 57,7 Jahre) aber noch immer weit unter dem gesetzlichen Pensionsalter (60 Jahre für Frauen, 65 Jahre für Männer). Experten sind sich einig, dass angesichts der steigenden Lebenserwartung und vor allem wegen des drastischen Anstiegs der Zahl der Pensionisten weitere Einschnitte notwendig sind, um die Finanzierung des Systems sicherzustellen. Die Mittel, die der Bund 2001 aus dem Budget für die Pensionsversicherung zuschießen musste, lagen bei knapp fünf Milliarden Euro, das waren um 1,9 Prozent mehr als im Jahr davor.

Die ÖVP hat sich mit detaillierten Konzepten weit vorgewagt. Nach ihrem Plan werden die Frühpensionen schrittweise ab 2004 bis Ende 2009 abgeschafft. Über flankierende Maßnahmen wurde in den VP-FP-Regierungsverhandlungen besonders intensiv debattiert.


Ernst wird es nach jahrelangen Diskussionen noch in einem weiteren jahrelangen Streitpunkt: es soll zu einer Vereinheitlichung der Pensionssysteme von ASVG-Versicherten und Beamten kommen. Nicht nur wegen der Details in diesem Punkt kündigen sich so wie schon 1997 harte Auseinandersetzungen mit der VP-dominierten Beamtengewerkschaft an.

Für Experten zählt ferner eine Verwaltungs- und Staatsreform samt Abbau der Bürokratie zu den Fixpunkten für die Arbeit der neuen Regierung. Schon Schwarz-Blau hat sich beim Stellenabbau ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Abbau von 11.000 Planstellen sowie Ausgliederung weiterer 4000 Stellen. Tatsächlich weist die Bilanz, die die scheidende Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer erst vor wenigen Wochen dem Ministerrat vorgelegt hat,  folgende Zahlen aus: der Personalstand wurde gegenüber 1999 um 12.380 gesenkt, davon 9365 durch Abbau. Die Zahl der Pragmatisierten wurde um 6984 reduziert.

Diese Reduktion des Beamtenheeres wird fortgesetzt: Wirtschaftsminister Martin Bartenstein ist bereits vorgeprescht und hat den Abbau von insgesamt 30.000 öffentlich Bediensteten für die neue Gesetzgebungsperiode angekündigt. Der Schwerpunkt soll diesmal - und da gibt es die volle Unterstützung der Freiheitlichen - in den Ländern und Gemeinden liegen, wo 20.000 Beamtenposten abgebaut werden sollen. Der Haken dabei: Beamte sind praktisch unkündbar, ein vorzeitiges - freiwilliges - Ausscheiden muss den Bediensteten daher schmackhaft gemacht werden.

Defizit der Krankenkassen

Ein anderer "Dauerpatient" - die ständig unter finanziellen Problemen leidenden Krankenkassen - sind ebenfalls noch immer im Wartesaal der Regierung. Im Vorjahr betrug der Abgang in der Krankenversicherung nach nun vorliegenden Daten des Hauptverbandes der Sozialversicherungen (vorläufiger Rechnungsabschluss) insgesamt 240 Millionen Euro, womit das Minus knapp über den prognostizierten 232 Millionen Euro lag. Die finanziellen Probleme konnten in der abgelaufenen Legislaturperiode nur noch mit Müh und Not und durch den Rückgriff auf interne Reservetöpfe bewältigt werden.

Insgesamt soll jetzt bis 2006 eine Milliarde Euro zusätzlich - durch Einsparungen bei Medikamenten, Selbstbehalte, höhere Beiträge - aufgetrieben werden. Ein - heftig umstrittener -Vorstoß sieht ein Selbstbehalt beim Arztbesuch unter anderem Selbstbehalt pro Arztbesuch auch für ASVG-Versicherte vor - auch um den Patienten deutlich zu machen, dass Leistungen im Gesundheitswesen nicht "gratis" sind. Die Krankenversicherungsbeiträge der Pensionisten sollen schrittweise erhöht werden. Fix ist jedenfalls eines: Ohne Gegenmaßnahmen droht das Defizit der Krankenversicherung schon heuer auf 353 Millionen Euro empor zu schnellen.

Empor schnellen wird in jedem Fall auch das gesamtstaatliche Defizit (Bund, Länder und Gemeinden), falls die neue Regierung nicht vehement bei den Ausgaben auf die Bremse steigt. Das Finanzministerium hat nun auch bereits ein Sparpaket geschnürt, das bis 2006 fünf Milliarden Euro einsparen soll. Davon betroffen sind neben den bereits erwähnten Bereichen Pensionen, Gesundheit und Verwaltung auch die großen Ausgabenblöcke Subventionen sowie der Finanzausgleich, die Aufteilung der Mittel zwischen Bund, Länder und Gemeinden.

Steuert die neue Regierung nicht massiv gegen, dann schnellt das Defizit laut Berechnungen des Finanzministeriums bereits im kommenden Jahr auf 1,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Höhe. Mit den Einsparungen hofft das Finanzressort, das Defizit von heuer 1,1 Prozent bis 2005 auf 0,1 Prozent des BIP zu drücken. Allerdings dürfte die schwierige konjunkturelle Lage diese Pläne durchkreuzen.

Sorgen um Wirtschaftswachstum

Allein für heuer gingen die Budgetexperten bei ihren Berechnungen von einem Wirtschaftswachstum in der Gegend von 1,7 Prozent aus. Ein Wert, der längst außer Reichweite liegt. Mittlerweile glaubt auch im Finanzministerium niemand mehr, dass das Wirtschaftswachstum heuer jenseits von 1,3 Prozent liegen wird. Angesichts der schweren Krise in Deutschland wackelt nun aber auch schon dieser Wert kräftig.

Neben niedrigeren Ausgaben haben sich ÖVP und FPÖ durchgerungen, die Steuerschraube anzuziehen. Wie die "Presse" berichtete, werden die Steuern auf Benzin und Diesel empfindlich angehoben, um nicht entnommene Gewinne in Personengesellschaften zu entlasten und die Lohnnebenkosten bei älteren Beschäftigten zu senken.


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