Wenn Gefühle alles sind, was zählt

Die schwedische Bevölkerung hat ihrer politischen Führung eine klare Absage erteilt - jede Volksabstimmung ist auch eine Vertrauensfrage.

Der Euro hätte Anna Lindhs Vermächtnis sein können. Das klare Votum der Schweden gegen die Einführung des Euro zeigt, wie tief das Misstrauen gegenüber Europa wurzelt. Auch der Schock über den Mord an der beliebten Außenministerin, dem Gesicht der Pro-Euro-Kampagne, hat die Europa-Skepsis nicht bedeutend mindern können. Bedenkt man, dass wohl zahlreiche potenzielle Neinsager als Sympathiebeweis für Lindh gegen ihre innere Überzeugung gestimmt haben, so wird das wahre Ausmaß der Absage an den Euro deutlich.

In Schweden war schon die Abstimmung über den EU-Beitritt im Jahr 1994 eine Zitterpartie gewesen: Nur eine knappe Mehrheit der Bevölkerung wollte den Versprechungen der Regierung Glauben schenken, und von jenen, die es taten, fühlten sich viele in den vergangenen Jahren laut Umfragen bitter getäuscht. Die Verbundenheit zu Europa ist so niedrig wie in kaum einem anderen EU-Mitgliedsland.

Schweden ist immer noch auf der Suche nach seiner Identität innerhalb der Union. Der schwedische Weg, der erfolgreiche Alleingang, das ist es offenbar, was sich eine Mehrheit der Bevölkerung wünscht. Dafür nimmt sie auch zunehmende Isolation in Kauf: Denn wer nicht voll dabei sein will, der kann auch nicht voll mitreden.

Das Nein zum Euro ist genährt von Unbehagen. Die Wähler haben gegen die politische Elite rebelliert, sie haben nein gesagt, weil ihre latente Angst vor dem Koloss Brüssel nicht ausgeräumt werden konnte. Volksabstimmungen sind immer auch Vertrauensfragen, am Prüfstand steht die politische Führung.

Diese steht nun vor dem Scherbenhaufen, den sie erwarten musste. Schweden ist der EU im Gegensatz zu Dänemark und Großbritannien ohne eine Ausnahmeklausel zur währungspolitischen Zusammenarbeit beigetreten. Tritt Schweden nicht langfristig dem Euro bei, so bedeutet das Vertragsbruch, nichts anderes. Die Regierung kann nur hoffen, dass in Zukunft die Vorteile der ungeliebten Währungsunion stärkeren Niederschlag finden werden als die Negativwerbung. Sie kann nur hoffen, dass die Euro-Zone von ihren eigenen Mitgliedern nicht noch unattraktiver gemacht wird.

Denn dass die Entscheidung der Schweden in Deutschland mit "Bedauern" aufgenommen wurde, entbehrt nicht gewisser Komik. Danke Berlin, danke Paris, mag sich Premier Göran Persson nach dieser auch für seine persönliche Zukunft bitteren Entscheidung gedacht haben. Mit der Desavouierung des Stabilitätspakts haben Deutschland und Frankreich Persson keinen Freundschaftsdienst erwiesen. Aber auch der Premier selbst hat Fehler gemacht: Als er sich endlich zu einem Bekenntnis zum Euro durchgerungen hatte, konnte er nicht einmal seine eigene Mannschaft geschlossen hinter sich sammeln.

Noch eine Lehre hält das Schweden-Nein bereit: Der bewusste Abschied von der eigenen Währung gehört zu den emotionalsten Entscheidungen, die ein Volk zu treffen hat. Sachargumente haben auf dieser Ebene keine Schlagkraft. Wenn nur noch Gefühle zählen in der Politik, dann sind Glaubwürdigkeit und Vertrauen ausschlaggebend. Euro-Gegner gaben als Hauptgrund ihrer Ablehnung die Angst vor Fremdbestimmung an. Worüber haben die Schweden eigentlich genau abgestimmt?

Es ist bezeichnend, dass der Euro nur in jenen Ländern Zahlungsmittel wurde, wo die Bevölkerung gar nicht erst gefragt wurde - und umgekehrt. Wer ist zu feiern, wer ist zu bedauern _ jene, die an direkter Demokratie teilhaben durften oder jene, denen die komplexe Entscheidung durch eine Phalanx von Experten und die von ihnen gewählte Regierung abgenommen wurde?

Sollte es bei Volksabstimmungen nur um Denkzettel gegen Regierende gehen, so wird aber auf jeden Fall ein Grundprinzip der Demokratie verraten: Regierungen wird man in Europa immer noch über Wahlen und nicht über Stellvertreterkriege los.

f.leibl@diepresse.com


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