Koalitionsgespräche als Spieltheorie: Wie schnell schmilzt die Eiskugel?

In den Verhandlungen steht es 18 zu 4 für die ÖVP - sagen zumindest die Wissenschaftler. Denn die Spieltheorie weiß, wie eine stabile Koalition aussehen muß.

In der Politik, in der Wirtschaft, in Kriegen und Beziehungen, in fast jedem Lebensbereich wird strategisch agiert, also mit Bedacht auf mögliche Reaktionen des Gegenübers gehandelt. Deshalb kann man auch die laufenden Koalitionsverhandlungen spieltheoretisch betrachten. Wer mit wem regieren wird - das können die Wissenschaftler zwar nicht vorhersagen. Die entscheidenden Determinanten für den Verhandlungsprozeß aber schon.

Klaus Ritzberger vom Institut für Höhere Studien in Wien erklärt zwei Arten, wie man Koalitionsverhandlungen spieltheoretisch analysieren kann: im nicht-kooperativen oder im kooperativen Ansatz.

Ressourcen optimal nützen

Ein Beispiel für den kooperativen Ansatz: Angenommen, es ginge allen Parteien einzig nur darum, in der Regierung zu sein. Dann hätten alle Mehrheitskoalitionen (alle mit der ÖVP und alle Dreier-Koalitionen) den Funktionswert eins, alle Konstellationen ohne Mehrheit null. Mit Hilfe von Grundsätzen (Axiomen) wird nun abgeleitet, welchen Schaden (sprich: das Nichtzustandekommen einer Mehrheitsregierung) ein Spieler den anderen zufügen kann, wenn er sich verweigert. Das ist der Wert, den er für die Gesellschaft hat.

Im obigen Beispiel "Hauptsache Regierungsverantwortung" ergibt sich für die ÖVP im Vergleich zu den anderen Parteien ein berechneter Wert von 18 zu 4 und somit für die ÖVP eine mehr als vierfach höhere Chance, ihre Ziele in einer Koalition durchzusetzen. In der Realität müßten freilich noch zahlreiche Faktoren mitbedacht werden, wie etwa: Inwieweit passen die Ziele der einzelnen Parteien inhaltlich zusammen? Was wissen die Verhandlungsteilnehmer übereinander, was glauben sie übereinander zu wissen? All das zu erheben, wäre sehr arbeits- und kostenintensiv und wird deshalb nur bei Großprojekten (zB. EU-Verhandlungen in Nizza) ausgerechnet.

Scheitern ist nicht negativ

Die zweite, nicht kooperative Variante setzt voraus, daß es einen Spielplan oder ein Verhandlungsprotokoll gibt, die jeden möglichen Fall regeln. Ein Beispiel: Spieler eins und zwei unterbreiten einander abwechselnd Vorschläge zur Aufteilung eines Kuchens, die nur angenommen oder rundweg abgelehnt werden dürfen. Oder: Spieler A teilt einen Kuchen auf. Spieler B, C und D dürfen zuerst ein Stück nehmen. Das Nash-Gleichgewicht (John Nash, bekannt aus dem Film "A Beautiful Mind") besagt, daß ein Spielverlauf dann optimal ist, wenn sich niemand durch ein Anders-Handeln besser stellen kann.

Auf Grund dessen läßt sich vorhersagen, wie sich die Spieler verhalten werden. So kann man für Beispiel zwei sagen, daß A den Kuchen in gleich große Teile teilen wird. Im Beispiel eins werden sich die beiden Spieler ebenfalls auf eine mehr oder weniger gerechte Teilung einigen. Handelt es sich um eine schnell zerrinnende Eistorte an einem heißen Sommertag, wird derjenige, der den ersten Vorschlag machen darf, ein wenig mehr bekommen. Ansonsten könnte ihn der andere mit Geduld aussitzen und so ein bißchen mehr für sich herausschlagen.

Anders als in der kooperativen Theorie kann es hier aus Sicht der einzelnen Spieler durchaus günstig sein, daß es etwa aus verhandlungstaktischen Verzögerungen zu Ressourcenverlusten (Gesetze werden nicht beschlossen, das Budget nicht erstellt) kommt oder daß Verhandlungen (wie vor drei Jahren) scheitern.

Auch hier gilt: Der Mangel an Daten verhindert exakte Vorhersagen. Und so gilt für die Politik dasselbe wie weiland für das legendäre Schachduell Deep Blue gegen Gary Kasparow: Man darf gespannt sein.


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