Prager Wendegipfel

Nato am Ende? Die Europäer haben es in der Hand, ob das Bündnis auch eine Zukunft hat.

M
odernisierung oder Margi nalisierung: Nato-Gene ralsekretär George Robertson selbst hat die zwei Optionen für das Bündnis offen angesprochen. Die 19 Nato-Staaten, die bei ihrem Gipfeltreffen ab Donnerstag in Prag weitere sieben Kandidaten zum Beitritt einladen dürften, haben es selbst in der Hand, für welche der beiden Möglichkeiten sie sich entscheiden.

Faktum ist: Die meisten europäischen Nato-Staaten sind nach dem jähen Kollaps ihres Hauptfeindes Warschauer Pakt in eine Art Dämmerschlaf verfallen. Es war ja auch so bequem: Angesichts des Fehlens einer unmittelbaren Bedrohung konnte man die Verteidigungsbudgets zusammenstreichen und die Streitkräfte um ein paar Dutzend schwere Panzer und Kanonen reduzieren. Aber man hat es verabsäumt, die Armeen umzustrukturieren und den sich abzeichnenden ganz neuen Bedrohungen anzupassen.

Inzwischen sind die europäischen Schlafmützen drauf gekommen, daß gegen die Raketen unberechenbarer, größenwahnsinniger Machthaber im Umkreis Europas, gegen Terroristen, die auch vor dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen nicht zurückschrecken, oder gegen Chaos-Staaten, die ihre gesamte Nachbarschaft zu destabilisieren drohen, keine schwerfälligen Panzerarmeen helfen. Gefragt sind heute vielmehr hochmobile, sofort einsetzbare und gut ausgerüstete Einheiten. Gefragt sind bestens ausgebildete Spezialisten etwa zur Abwehr von ABC-Angriffen. Eine solche Umstrukturierung der Streitkräfte aber kostet selbstverständlich einiges. Geld, das viele alte und künftige Nato-Mitglieder lieber für andere Zwecke ausgeben.

Nur: Wenn die europäischen Nato-Mitglieder die Zeichen der Zeit jetzt nicht erkennen und in Prag die Weichenstellungen in Richtung Modernisierung, Umstrukturierung, Rollenspezialisierung ihrer Streitkräfte und Bündelung militärischer Kapazitäten nicht vornehmen, wird die jetzige Identitäts- zu einer Existenzkrise der Allianz werden.

Existenzkrise, weil sich die Amerikaner dann allmählich aus dem Bündnis zurückziehen und dieses Tragseil der transatlantischen Beziehungen kappen werden. Dies geschähe zwar gewiß zur Freude europäischer Amerikahasser im linken und äußerst rechten Lager - nur: Für Europas Sicherheit wäre der Rückzug der USA eine Katastrophe.

Insofern hat Prag tatsächlich die Bedeutung eines Wendegipfels. Entweder der Weg der Nato geht in Richtung einer kompletten Rundumerneuerung und das Bündnis bleibt so die erfolgreichste Militärallianz der Geschichte. Oder der Weg geht ohne Amerikaner in ein sicherheitspolitisches Nirwana, in dem die Nationalismen der zahlreichen europäischen Mittel- und Möchtegernmächte wieder aufblühen werden, das Gegeneinander über das Miteinander triumphieren wird.

Der Lackmustest für die USA wird dabei sein, wie die Reaktion der Europäer auf die von ihnen angeregte schnelle und global einsetzbare Eingreiftruppe ("Nato Response Force") ausfällt. Wird nach dem Ja in Prag zu dieser Truppe tatsächlich zügig ihre Aufstellung betrieben? Oder aber bleibt sie nur eine Streitmacht auf dem Papier?

Und Österreich? Der Wahlkampf hat gezeigt, daß das Verhältnis der hiesigen Parteien zur Nato weiter völlig verkrampft ist. Die SPÖ gefällt sich in einem archaischen Neutralitätsfundamentalismus, bei der FPÖ weiß man sowieso nicht, was sie will, in der ÖVP gilt die Devise, das heiße Eisen Nato nur ja nicht anzufassen; überraschenderweise sind es die Grünen, die beim Thema europäische Sicherheit zuletzt eine gewisse geistige Beweglichkeit zeigten. Währenddessen schließt sich der Kreis der Nato-Staaten fast um das ganz Land. Doch es wäre verfrüht, naiv und dumm, darauf zu setzen, daß die Nato ohnedies ein Auslaufmodell ist.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.