Europa - ein Fragezeichen?

Beim EU-Gipfel in Barcelona blieben die Staas- und Regierungschefs wichtige Antworten schuldig.

Kinder, stellt Fragen, fordern kluge Menschen. Auch Erwachsene sollen Fragen stellen - nur von ihnen darf man auch entsprechende Antworten erwarten. Genau diese blieben aber die EU-Staats- und Regierungschefs beim jüngsten Gipfel in Barcelona erneut weitgehend schuldig. Wie machen wir Europa wirtschaftsfähiger, bürgernäher, effizienter? Auf diese Dauerbrenner in den viermal jährlich abgehaltenen europäischen Fragestunden, den Gipfeltreffen, scheinen die EU-Spitzen keine Antworten zu finden. Oder finden zu wollen.

Die Frage nach mehr Bürgernähe droht angesichts der immer rigider werdenden Sicherheitsvorkehrungen ins Groteske zu kippen. In Barcelona waren ganze Stadtteile abgeriegelt, Maschendrahtzäune sperrten den Tagungsort großflächig ab, Hubschrauber kreisten über dem gespenstisch stillen Areal. Nähe ist eine emotionale Größe. Die Bilder von Barcelona taten erneut ihre Wirkung. Wie soll man in Zukunft mit dieser Problematik umgehen?

Auch das Papier des Repräsentanten für EU-Außenbeziehungen, Javier Solana, wirft Fragen auf. Wollen wir den Europäischen Rat zurückführen auf seine ursprüngliche Bestimmung, politische Weichen zu stellen? Wollen wir überladene Tagesordnungen entrümpeln? Die Schlußfolgerungen knapper halten? Ja, riefen die von Solana als Pfaue zerzausten Regierungschefs im Chor. Nur die bange Frage, wie? Um die werden sich "persönliche Beauftragte" bis zum nächsten Treffen in Sevilla kümmern.

Persönlich Beauftragte sind seit kurzem auch im EU-Konvent mit der Frage beschäftigt, wie das Haus Europa so umgebaut werden kann, daß es beim Einzug neuer Mitglieder nicht zur Villa Kunterbunt wird. Oder gar einstürzt. In diesem Punkt gewährte Bundeskanzler Schüssel in Barcelona einen interessanten Einblick: Was Österreichs Regierungsvertreter im Konvent, Hannes Farnleitner, bisher vorgeschlagen habe, kommentiere er nicht, denn jeder sei frei, im "Kreativlabor Konvent" alles aufzuwerfen: "Wir werden dann auch frei über die Ideen des Konvents abstimmen." Was das bedeuten könnte, hat man schon in Nizza erfahren dürfen.

Was den eigentlichen Anlaß des Gipfels anging, die Wettbewerbsfähigkeit der EU langfristig zu verbessern, so erschöpften sich die Ergebnisse auch hier in dem Motto, der Weg sei das Ziel. So freute sich Deutschlands Bundeskanzler Gerhard Schröder, daß "die Richtung stimmt". Und erklärte, die Absichtserklärungen seien von "psychologischer" Bedeutung.

Da war auch Schüssels kryptische Bemerkung fast schon wieder verständlich, wonach die Einigung auf längere Arbeitszeit lediglich politischer Wille sei, aber keine Bedeutung für die Beschäftigungspolitik Österreichs habe. Außenministerin Benita Ferrero-Waldner brachte das europäische Dilemma der kontinuierlichen Verschleppung auf den Punkt. "Die Frage ist insofern geklärt, als darüber weitergeredet wird", sagte Ferrero-Waldner zum Konflikt Türkei-Griechenland in Sachen Verteidigungspolitik.

Natürlich kann nicht immer alles auf der Stelle gelöst werden. Zu kompliziert ist das Gefüge der EU, zu unterschiedlich sind die nationalen Interessen. Aber was Großbritanniens Tony Blair, strahlend wie immer, nach Ende des Gipfels erklärte, machte nachdenklich. Es gebe viele technische und kleinliche Details bei diesem Treffen, die niemanden interessierten, räumte Blair ein. Doch diese Kleinigkeiten trügen schließlich dazu bei, "das Leben jedes einzelnen zu verändern". Der britische Premier bedauerte, daß viele Menschen das "große Bild" nicht mehr erkennen könnten. Genau hier liegt das Problem. Erklärt uns wie. Erklärt uns Europa, bevor es uns nicht mehr interessiert.

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