Putins neues Denken

Rußlands Präsident will sein Land offensichtlich wirklich modernisieren. Dafür braucht er westliche Hilfe.

Auch die Russen nörgeln furchtbar gern. Gerade unter der politischen Elite des Landes, vor allem aber unter den noch während der Sowjetherrschaft ausgebildeten Militärs, Diplomaten, Bürokraten ist Präsident Wladimir Putin eigentlich ein schwerer Sünder wider "Rußlands eurasische Natur".

In ihren Augen wirft sich Putin dem Westen in die Arme: Er "packelt" mit den Amerikanern, schließt angeblich unvorteilhafte Abrüstungsverträge mit ihnen, läßt zu, daß Washington US-Truppen im ureigenen russischen Hinterhof - in Zentralasien und Georgien - stationiert. Putin tut sich auch noch mit dem Gottseibeiuns der früheren Sowjets - der Nato - zusammen; für eine neue, zugegebenermaßen etwas aufgewertete Nato-Konsultationsrunde, die diese Woche offiziell in der Nähe von Rom aus der Taufe gehoben wird, läßt er es zu, daß das westliche Bündnis auch ehemalige Sowjetrepubliken wie Estland, Lettland und Litauen in die eigenen Reihen aufnimmt.

Es stimmt wirklich: Wladimir Putin verkörpert heute dem Westen gegenüber das, was der letzte sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow in der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre als politische Devise ausgegeben hatte, um das kommunistische Imperium zu retten: das neue Denken. Gorbatschows Ziel - Erhaltung des Sowjetreichs - hat dieses neue Denken übrigens nichts mehr genützt; vor allem deshalb, weil er es auch selbst nur zu halbherzig vollzog. Putin dürfte da doch viel konsequenter sein.

Etwas mehr als zwei Jahre nach seinem Amtsantritt sind die Kernpunkte von Putins Regierungsprogramms sichtbar: Innenpolitische Stabilisierung durch Zentralisierung und Stärkung der staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen; außenpolitische Konsolidierung durch eine Anpassung der globalen Rolle Moskaus an die realen Fähigkeiten und Möglichkeiten des Landes - das heißt Erwachen aus allen geopolitischen Tagträumen, wonach Rußland noch immer das Zeug zu einer Supermacht habe; wirtschaftliche Erholung des ökonomisch und infrastrukturell nach wie vor schwer maroden Landes mit ausländischer Unterstützung; damit letztlich auch eine Gesundung der russischen Gesellschaft mit ihren zahlreichen sozialen Krankheiten: Geburtenrückgang, Landflucht, unkontrollierte Urbanisierung, Kriminalität, Alkoholismus, Drogen, Aids und andere Seuchen.

Die innenpolitische Stabilisierung hat Putin weitgehend geschafft - wenn Rußland auch noch Lichtjahre von einer lupenreinen Demokratie entfernt ist; vor allem darf nie ausgeblendet werden, daß Putin selbst es war, der den blutigen zweiten Feldzug im Nordkaukasus angezettelt hat und er bisher außerstande war, den Tschetschenien-Konflikt zu lösen.

Außenpolitisch ist Putin gerade auf bestem Wege, die angestrebte Konsolidierung zu erreichen, in dem er auf globale Dispute mit dem Westen verzichtet, die er ohnedies nie für Rußland entscheiden könnte. Genau das markiert Putins neues, realistisches Denken. Entscheidend ist nun freilich der nächste Schritt. Folgen die Wirtschaftstreibenden der westlichen Länder ihren politischen Führungen in Washington, Berlin, Paris oder Rom, und fangen auch an, in Rußland im großen Stil zu investieren?

Investitionsmöglichkeiten in Rußland gäbe es gigantisch viele. Bis jetzt haben westliche Investoren verständlicherweise gezögert, weil es einfach zu unsicher war - schließlich herrschen auch noch immer Krieg und Terror. Solche Hindernisse müssen aus dem Weg geräumt werden. Neues Denken bei Putin allein ist zu wenig: Auch die korrupten Handaufhalter überall in der russischen Bürokratie müssen endlich um- und neu denken. Dann aber sollte einem umfassenden Engagement westlicher Investoren in Rußland eigentlich nicht mehr allzu viel im Wege stehen.

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