Österreichische Intellektuelle zu den Wahlen

RUDOLF BURGER

Ich finde, das ist ein wohlverdienter Sieg Schüssels, der souverän agiert hat, und eine wohlverdiente Demütigung der SPÖ. Das sage ich als langjähriger SPÖ-Wähler. Schüssel wird in die Geschichte der Zweiten Republik eingehen als der Drachentöter. Jörg Haider ist auf die laute Fußnote der Geschichte reduziert, die er immer schon war, ein Punkt, der sich aufgeblasen hat. Das hat jetzt mit möglichen Koalitionen nichts zu tun. Die SPÖ, die Linken und die Kunstszene haben ihre Strafe bekommen für ihre demagogische Vergangenheitsdiskussion, und das freut mich ganz persönlich. Die Österreicher sind Demokraten, wie andere auch.

VLADIMIR VERTLIB

Das Positivste an dieser Wahl ist für mich der "Absturz" der FPÖ. Dennoch ist dies kein Grund zur Euphorie, denn diese Partei ist nicht an der späten Einsicht ehemaliger "Haider-Wähler" gescheitert, daß mit Angst- und Haßparolen keine Politik zu machen ist, sondern sie hat sich selbst zerstört. Eine FPÖ wie bisher, als erfolgreiche populistische Bewegung mit Jörg Haider oder einem seiner Paladine an der Spitze, mag vorerst der Vergangenheit angehören. Doch die von Haider geweckten beziehungsweise wiedererweckten Geister werden in Teilen der österreichischen Gesellschaft und Politik weiterhin präsent bleiben und ihr Unwesen treiben, insbesondere wenn die bisherigen Regierungsparteien, wie es sich im Augenblick abzeichnet, an der Macht bleiben sollten. Umso mehr muß es deshalb die Aufgabe von Künstlern sein, diesen Geistern in Zukunft entgegenzutreten, sie hinter neuen Formen oder Verkleidungen zu erkennen. Kritische und ironische Distanz sowie verstärkte Wachsamkeit sind angebracht.

MICHAEL SCHARANG

Neulich hat mich jemand zum Essen eingeladen. Als wir uns dann am Wiener Donaukanal bei einem Würstelstand trafen, behauptete der Unbekannte, ein Mittdreißiger mit der Frisur eines Religionsstifters, Obmann der österreichischen Partei der Nichtwähler zu sein. Er kenne mich als jemanden, fuhr er fort, der zu schreiben, mitunter auch zu sprechen verstehe, ob ich nicht für seine Partei als Pressesprecher arbeiten wolle. Bezahlung? fragte ich. Keine; ich könne auch ohne weiteres zur Wahl gehen. Was zu tun sei? Nichts; unsere Arbeit machen die anderen. Die Art, wie sie um Stimmen werben, treibt uns die Nichtwähler zu. Daß die Parteien und Wähler in die politische Mitte drängen, wo längst kein Platz mehr ist, wo die Leute aus Luftmangel ersticken und an politischer Langeweile sterben, schafft Platz für die Nichtwähler - für die sich um die bleierne Mitte herum große, luftige Plätze auftun, auf denen sie fröhlich und nachdenklich dahinspazieren können. So mein Gegenüber. Ich schlug ein. Es war ein schicksalhafter Handschlag. Mein Leben hat sich grundlegend geändert. Angesichts einer Wahl, die zur Schicksalswahl stilisiert wird, weil es um das Schicksal einiger Politiker geht, macht das Schicksal mich zum Pressesprecher einer Partei, die nicht existiert. Das gibt mir das Gefühl, in diesem Gemeinwesen endlich Verantwortung zu tragen.

MICHAEL KÖHLMEIER

Lustig ist es nicht. Schon rückt der liebe Gott an die Seite einer Partei. Der Geruch der fünfziger Jahre steigt mir in die Nase. Ein hoffnungsarmer Mief. Ein großer Sieg für einen Pokerspieler. Die Welt ist dennoch nicht geschlossen.

LYDIA MISCHKULNIG

Nein! Das darf nicht wahr sein. Jetzt geht es mit dem Lavendelreden erst richtig los. Unsere Liebe zu Aussitzern und Taktierern bestätigte sich wieder. Österreich und Innovation? Das gibt es nicht. Wir bleiben in unserem Schrankraum. Lavendel parfümiert die Muffigkeit. Motten flogen auf, Motten setzen sich wieder. Der Reserve-Sisyphus spuckt sich in die Hände und wartet auf Schwarz-Rot. Der Kanzler setzt sein Siegeslächeln auf. Haupt ist kein Cineast. Sein Kevin ist nicht allein zu Haus. Und nun folgen Kevin I, II, III, IV... Opportunisten sind immer gefragt. Wie schade, daß ein Charakter wie Van der Bellen den Österreichern doch eher fremd ist.

KONRAD P. LIESSMANN

Einige Dinge sind klar: Es gibt nur einen überragenden Wahlsieger, der heißt Wolfgang Schüssel. Zweitens: Es gibt in Österreich eine eindeutige Absage an Rot-Grün. Drittens: Es gibt nun eine unglaublich witzige Ausgangssituation für die Koalitionsverhandlungen. Denn immerhin haben sich zwei Herren, nämlich Herbert Haupt und Alfred Gusenbauer, vorher festgelegt, daß sie genau unter den Bedingungen, die jetzt eingetreten sind, nicht in eine Koalitionsregierung gehen wollen. Das bedeutet, daß entweder - aus Gründen der Staatsräson, wie behauptet werden wird - die SPÖ oder die FPÖ ihre Ansage bricht oder daß, falls es sich rechnerisch ausgeht, Schüssel den beiden gestattet, ihr Versprechen zu halten, und das völlig Unerwartete macht, nämlich eine Koalition mit den Grünen. In Summe ist das schwarz-blaue Regierungslager ja stabil geblieben, das heißt, die FPÖ ist auf jenes Maß zurückgestutzt worden, das niemandem mehr Kopfzerbrechen bereiten muß. Damit ist ein Kapitel in der österreichischen Geschichte - nämlich das des unaufhaltsamen Rechtspopulismus - vorläufig beendet.

SYLVIA STEINEK

Es ist ein unerwartet hoher Gewinn für die ÖVP, aber, da sie nicht die absolute Mehrheit schaffte, ein Pyrrhus-Sieg. Denn mit wem soll die ÖVP koalieren? Weder SPÖ noch Grüne werden das wollen, und die FPÖ ist der Wahlverlierer. Die ÖVP steht also ohne Koalitionspartner da. Und ich bin gespannt, wie die nächste Regierung aussehen wird. Der ÖVP-Sieg zeigt meiner Ansicht nach keine philosophische Wende, sondern ist eine interne politische Sache: Die ÖVP hat der FPÖ die Wähler weggenommen.

HUBERTUS CZERNIN

Das Ausmaß des ÖVP-Sieges ist denn doch überraschend. Die SPÖ-Jubelchöre nach dem Duell Schüssel-Gusenbauer waren offensichtlich verfrüht. Es gibt in der Geschichte der Zweiten Republik kein vergleichbares Wahlresultat, ich bin beeindruckt. Das einzige Problem für die ÖVP wird nun sein, mit wem und wie sie weiter regieren soll. Ich kann mir schwer vorstellen, daß die SPÖ jetzt in eine Regierung geht, Ähnliches gilt für die FPÖ. Es scheint also in Richtung einer schwarzen Minderheitsregierung zu gehen, was hieße, daß wir bald wieder wählen werden. Überlegung in Richtung Schwarz-Grün wären angesichts der Aussagen, die die Grünen vor der Wahl getätigt haben, fast eine obszöne Variante.

ANTONIO FIAN

Leise flehen meine Lieder, / bitte, nein, nicht das schon wieder, / nicht noch einmal diese Scheiße, / flehen meine Lieder leise.

MILO DOR

Die ÖVP hat gewonnen. Das war klar, aber nicht so überragend, wie es vorher ausgesehen hat. Es wird schwierig sein, eine Regierung zu bilden. Wenn die Grünen darauf eingehen, könnte es zu einer schwarz-grünen Koalition kommen, aber die Bedingungen werden hart sein. Naheliegender ist, daß es zu einer Fortsetzung von Schwarz-blau kommt. Mich freut das nicht, weil es hat nicht funktioniert. Es wird weitere Störungen von Haider geben. Das ist ein selbstzerstörerischer Mensch. Er hat sogar seine eigene Schöpfung kaputtgemacht. Vom Wahlergebnis her wollen die Wähler wohl eine große Koalition. Aber es hängt alles auch von der wirtschaftlichen Entwicklung ab.

ROBERT SCHINDEL

Man muß akzeptieren, daß die Österreicher vielleicht ein bißchen weniger schnell lernen und dadurch etwas länger leiden müssen.

KARL-MARKUS GAUSS

Die Amerikaner wählen Bush. Die Russen Putin. Warum sollen ausgerechnet die Österreicher nicht wählen dürfen, wie es ihnen frommt. Frommt. Um 17.05 Uhr höre ich Frau Rauch-Kallat im ORF sagen: "Lassen Sie mich danken, daß der liebe Gott uns und besonders Wolfgang Schüssel so viel Kraft gegeben hat." Ob es wirklich der liebe Gott war? Ich glaube ja, daß Gott tot ist. Vielleicht also ein Fall von Vorsehung?


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