Liebe und Macht im Land des Drachens

Frauen in Bhutan: Genossen sie bisher Macht und freie Liebe? Begünstigt die Globalisierung patriarchalische Tendenzen? Die Wiener Ethnologin Jasmine Böhm blickt hinter den Mythos des Matriarchats.

In Bhutan ("Land des Donnerdrachens"), dem kleinen Königreich im östlichen Himalaya, schmiegt sich ein Berggipfel an den nächsten. Auf jedem sitzt nach Glauben der Landsleute ein Gott, der Regen, sanfte Winde oder schwere Hagelstürme in die Täler schickt - abhängig vom Benehmen der dort lebenden Menschen. Da ja der Zorn von oben die Ernte gefährden kann, hat der König von Bhutan eigentlich allen Irdischen verboten, die heiligen Berge zu besteigen.

Seit der Öffnung des Landes (1972) versucht man sich in Bhutan den internationalen wirtschaftlichen Standards anzupassen. Und dünnluftige Gipfel locken Europäer und Amerikaner in die Region zwischen China und Indien. Angesichts des Geldes der Fremden drücken Götter wie Monarch immer öfter ein Auge zu.

Die Einflüsse von außen hinterlassen nicht nur Spuren im Gletscherschnee. Auch die als einzigartig angesehenen Familiengefüge Bhutans scheinen sich zu verändern. Bisher hatten in den dortigen Familien zumindest dem Anschein nach die Frauen das Sagen. Sie besitzen Grund und Boden, der nur an die Töchter weitervererbt werden kann. Fehlen diese, muß eine Schwiegertochter adoptiert werden. Männer gelten nicht automatisch als Familienoberhäupter.

Die Frauen Bhutans besitzen Grund und Boden. Die Männer aber ziehen in die Städte - und verdienen dort Geld.

Früher war in Bhutan noch Polyandrie üblich: Frauen konnten mit mehreren Männern eine Beziehung eingehen. Nach und nach wird der Ehe von offizieller Seite aber immer größere Bedeutung beigemessen, wie eine Studie im Auftrag der UNO und der bhutanischen Regierung erwies. Woher der Sinneswandel? Nachdem junge Männer von Landerbe und den häuslichen Aufgaben ausgeschlossen sind, ziehen viele in die Städte, um Geld zu verdienen. Dort hat die Globalisierung schon erste Spuren hinterlassen: Fernsehen und Internet berichten von den Sitten der westlichen Welt, Touristen tummeln sich um die Sehenswürdigkeiten.

Diese Entwicklung könnte die Geschlechterverhältnisse in Bhutan nachhaltig verändern - mit positiven wie negativen Folgen für alle Beteiligten. Das glaubt die Wiener Ethnologin Jasmine Böhm, die in Kooperation mit dem Wittgenstein-Forschungsschwerpunkt "Lokale Identitäten und überlokale Einflüsse" an der Akademie der Wissenschaften forscht.

Da ihre materielle Macht die Frauen Bhutans an ihre Höfe bindet, kommen sie seltener zu höherer Bildung oder zur Möglichkeit Geld zu verdienen. "Die Frauen sind durch ihre vermeintliche Vorzugsstellung nicht bevorzugt", sagt Böhm. "Auch im Zugang zu technischen Neuerungen und dem Marktsektor sind die Männer im Vormarsch - sie verdienen ja das Geld." Und die Geldwirtschaft löst den bisher üblichen Tauschhandel und die Eigenversorgung immer mehr ab.

Im Buddhismus gelten Himmelswesen als männlich, die Quälgeister im Wasser haben eher weibliche Eigenschaften.

Böhm will untersuchen, welche Faktoren einen möglichen Wandel der Geschlechterrollen bestimmen. Besonders aussagekräftig sei die Sakrifizierung von Räumen: Der Buddhismus ordnet Himmelswesen und Berggötter dem männlichen Geschlecht zu. Wasserwesen, die Quälgeister der Unterwelt, haben eher weibliche Eigenschaften. Selbst Priester können sie nicht zähmen. Böhm: "Die Leute fürchten die Wasserwesen. Sie glauben, daß die Geister hin und wieder jemanden ins Wasser zerren."

Zwischen Himmel und Wasser, auf der Erde, hausen die Menschen. Mit ihnen will Böhm einige Monate verbringen, sie über ihr Leben, über Rituale und Mythologie, über Symbolik und Bewertung des Raumes befragen.

Auch möchte Böhm die Bewertung der Geschlechter im Buddhismus beleuchten. Dieser fand erst im 7. Jahrhundert mit tibetanischen Missionaren nach Bhutan. Der davor herrschende Bergkult ("Bön") verschmolz mit dem Buddhismus zu einem komplexen Weltbild.

Bön bewertet Männer und Frauen gleich. "Beim Buddhismus hatte ich anfangs auch den Eindruck einer toleranten Religion", erinnert sich Böhm. Doch auch der Buddhismus tendiere zum Patriarchalen - wie die meisten institutionalisierten Religionen. Er sei auch nicht toleranter - auch wenn das oft angenommen werde.

Prinzipiell gesteht der Buddhismus Männer und Frauen Erleuchtung zu. Diskriminierungen kommen aber vor. So wollte Buddha anfangs keine Frauenorden zulassen und ließ sich später nur unter der Voraussetzung erweichen, den angehenden Nonnen acht harte Zusatzregeln aufzubürden.

Mit Verweis auf diese Tradition haben in Bhutan hauptsächlich Männer Zugang zu Klöstern - und damit zu den Zentren von Bildung und Verwaltung. In Entscheidungsgremien auf lokaler Ebene sind zirka 80 Prozent Frauen. "Das ist vergleichbar mit den hiesigen Universitätsstrukturen", seufzt Böhm: "Es studieren oft mehr Frauen als Männer, auch in weniger prestigeträchtigen Positionen sind Frauen in der Überzahl. Assistentinnen gibt es dann schon weniger - und die Anzahl der Professorinnen ist verschwindend klein."

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