Überfressen

Wenn alles und jedes zur Chefsache wird, geht bei EU-Gipfeln bald überhaupt nichts mehr.

Die traditionelle Familienfeier ist zu Ende, die Sessel werden zurückgeschoben, nun rasch zur Tür, ein Küßchen, ein Händedruck, auf Wiedersehen, bis zum nächsten Mal. Ein bißchen übel ist einem, ja, das schon, aber im großen und ganzen war die Zusammenkunft doch ganz gelungen. Wenn so viel auf dem Tisch steht, besteht eben die Gefahr des Überfressens.

Das Zusammentreffen der EU-Staats- und Regierungschefs am Wochenende in Laeken bot Außenstehenden ein ähnliches Bild. Es kann nicht nur an den Kameras gelegen haben, daß die EU-Spitzen im königlichen Schloß Familiensinn bewiesen, einander herzten und zärtlich am Arm faßten, eine wonnige Zuneigung demonstrierten. In schwierigen Zeiten ist die Symbolik von Zusammengehörigkeit eben enorm wichtig. Man friert nicht gern allein.

Der Wille, den verfahrenen Karren Europa aus dem Schlamm zu ziehen, war da. Der belgische Premier und EU-Ratsvorsitzende Guy Verhofstadt legte mit der Erklärung von Laeken einen ehrgeizigen Text vor, der überraschend widerstandslos von den EU-Spitzen akzeptiert wurde. Es gebe "keine Tabus" mehr, sagte Verhofstadt. Tatsächlich lassen die Fragen, die nun vom Konvent zu beantworten sind, nichts aus, was gut und längst notwendig ist. Entweder, so lautete der Appell Verhofstadts, wir erfinden uns neu, oder wir werden handlungsunfähig. Nun bleibt allerdings abzuwarten, ob die Leuchtrakete einsam am Himmel verglüht oder tatsächlich ein Feuerwerk an Taten folgt.

Verhofstadt ist auch dafür Anerkennung zu zollen, wie er trotz ständiger Behinderung durch seinen geschwätzigen und unberechenbaren Außenminister Louis Michel die Fassung behielt. Denn die "Mißverständnisse" rund um die Beteiligung europäischer Staaten an einer Schutztruppe in Afghanistan ließen den Gipfel am ersten Tag beinahe kippen. Wer hier von "Pfusch" sprach, gehörte noch zu den freundlicheren Zeitgenossen.

Dennoch wiederholte sich in Laeken ein Fehler, der schon bei vergangenen Gipfeln für Ärger sorgte. Die Tagesordnung war zu überladen, zu viel wurde in zwei Gipfeltage hineingepreßt. In rasanter Folge wurde ein Menü in Angriff angenommen, das auch dem kräftigsten Magen nicht zumutbar schien. Die EU-Chefs verzettelten sich zwischen Visionen (die innere Reform, die Erweiterung), Kleingeist (Sitz der Agenturen) und Detailfragen (Finanzierung des Satelliten Galileo).

Dem Trend, alles zur Chefsache zu machen, worüber sich Fachminister nicht einigen können, muß in der Union möglichst rasch ein Ende gesetzt werden. Denn in der zunehmenden Beliebigkeit der Gipfelthemen lauert auch die Gefahr, das Ganze aus den Augen zu verlieren.

Auch die für Österreich überaus wichtigen Themen - Transit und Atomkraft - fanden wegen der gedrängten Tagesordnung erst in der Gipfelverlängerung am späten Samstagnachmittag Platz. Daß Bundeskanzler Wolfgang Schüssel bei der Transitproblematik dennoch einen beachtlichen Erfolg herausholte, war allein den Vorarbeiten und nicht etwa einer möglichen Gipfeldynamik zu verdanken. Dies schmälert nicht das Ergebnis: Die Übereinstimmung aller EU-Partner, eine Übergangsregelung für Österreich sei notwendig und richtig, ist viel wert, ist ein erster Schritt auf dem beschwerlichen Weg zur einer befriedigenden Transitlösung.

Natürlich bleibt fraglich, ob auch bei weniger opulenter Themenliste ein heikler Bereich wie etwa die Schaffung von Normen für die Sicherheit von Atomkraftwerken positiver abgehandelt worden wäre. Prinzipiell aber sollte der Speisezettel der EU-Spitzen drastisch reduziert werden. Nicht nur wegen des Gesamtbefindens, sondern auch der Effizienz zuliebe.


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.