Raus aus dem Elfenbeinturm

Karriere im Verkauf. Jobs im Handel boomen, Erfahrungen im Vertrieb erhöhen die Karrierechancen. Dennoch leidet das Image des Verkäufers. Zu Unrecht, wissen Experten sowohl aus dem Handel als auch aus der Industrie.

Der Handel ist eine der dynamischsten Branchen, auch was den Arbeitsmarkt betrifft. Wir verzeichnen einen permanenten Zuzug, 2006 waren es rund 540.000, heuer bereits 580.000 Mitarbeiter“, bilanziert Hannes Mraz, Geschäftsführer der Bundessparte Handel der WKÖ. Dem gegenüber stünde ein massives Imageproblem. „Ein Handelsangestellter wird immer noch mit einem Regaleinschlichter gleichgestellt, dabei geht der Trend in Richtung Höherqualifizierung. 80 Prozent der Handelsunternehmen sehen einen Weiterbildungsbedarf und finanzieren ihn auch. Und 70 Prozent der Mitarbeiter arbeiten aus Freude am Beruf, weil sie den Umgang mit Menschen schätzen.“

Diese Diskrepanz sieht auch Guido Lenz, Mobilkom Austria-Franchisemanager: „Laut unserer A1-Verkäuferstudie werden 81 Prozent der Kaufentscheidungen direkt von Verkäufern beeinflusst.“ Trotz der Bedeutung des Berufsbildes sinke aber der Anreiz, Verkäufer zu werden. Als Gründe genannt würden unattraktive Arbeitszeiten, der Umgang mit lästigen Kunden sowie der steigende Leistungs- und Verkaufsdruck. Lenz: „Uns geht es um die Aufwertung des Berufsbildes. Daher auch die neue Berufsbezeichnung Shop-Consultants. Durch unsere neue Recruiting-Kampagne soll den ,besten Köpfen' ein Angebot gemacht werden. Dazu gehören auch Studenten und Uni-Absolventen.“

Karrieremöglichkeiten in den Fokus

Wird nach außen transportiert, dass im Handel High-Potentials gesucht werden? Verena Irrschik, Leiterin Vertrieb bei der Personalberatung ISG: „Hier muss ein Unterschied zwischen Branchenimage und Unternehmensimage gemacht werden. Auch im Handel gibt es Unternehmen mit ausgezeichnetem Arbeitgeberimage. Wenn die Arbeitszeiten und die Bezahlung schlecht sind, muss ein anderer USP gefunden werden. Es gibt Marktführer, die schlechter bezahlen als der Durchschnitt, aber mit Karrieremöglichkeiten punkten.“ Markus Pollhammer, Vorstand der Merkur Warenhandels AG, bestätigt: „Die Löhne machen das Image sicher nicht aus. Wir haben 105 Märkte, ein Marktleiter bei Merkur führt ein mittelgroßes Unternehmen von 60 bis 150 Mitarbeitern. Da gibt es enormes Potenzial zur aktiven Mitgestaltung für engagierte Leute.“

Wie attraktiv sind Verkaufsjobs in der Industrie? Martina Steinberger-Voracek, Business Unit-Leiterin für Wasch- und Reinigungsmittel und Mitglied der Geschäftsleitung von Henkel Österreich: „Extern sehen auch wir Imagedefizite. 90 Prozent der Uni-Absolventen interessieren sich für das Brand-Management, auf den Verkauf angesprochen rümpfen noch manche die Nase. Hier haben die Unis einen Nachholbedarf. Es muss der Öffentlichkeit näher gebracht werden, welche Aufstiegschancen gegeben sind.“ Intern hätte der Verkauf bei Henkel einen ganz anderen Stellenwert. Steinberger-Voracek, die nach einer Marketinglaufbahn 1995 die weltweit erste Henkel Key Account-Managerin im Bereich Wasch- und Reinigungsmittel wurde: „Um Business Unit-Manager zu werden, ist es eine Grundbedingung, beide Seiten zu kennen.“ Auch Guido Lenz wagte sich aus dem „Elfenbeinturm Marketing“, um in den Verkauf zu wechseln: „Es ist wichtig, keine zu linearen Karrieren zu machen. Vertriebserfahrung bringt neue Sichtweisen. Einem Verkäufer kann man nicht so leicht etwas vormachen. Er macht ja auch den Umsatz.“

Handel ist hemdsärmelige Branche

Für Merkur-Vorstand Pollhammer geht es um Einstellungen: „Uni-Absolventen sollten wissen, dass es sich im Handel nicht um mindere Jobs handelt. Sich in die Basis zu wagen, bringt tollste Karriereaussichten. Wer sich allerdings vor ,lästigen Kunden‘ fürchtet, ist fehl am Platz. Der Handel ist und bleibt eine hemdsärmelige Branche.“ Ähnlich Verena Irrschik, die auf einen Karrierestart bei einem führenden Diskonter zurückblickt: „Das Bild des Uni-Absolventen mit der Aktentasche, der sogleich Mitarbeiter führt, ist unrealistisch und zu eng.“

Zumal die Anforderungen an Verkäufer immer größer werden, so Hannes Mraz: „Mit dem demografischen Wandel – 2030 wird über 30 Prozent der Bevölkerung über 60 Jahre alt sein – werden sich auch die Bedürfnisse ändern, die Leute wollen beraten werden. Vielfach wird unterschätzt, was etwa ein Abteilungsleiter im Lebensmittelhandel alles wissen muss, allein wenn es um Fragen der Gesundheit geht.“ Auch bei Henkel wachsen die Verantwortungsbereiche von Verkaufsmanagern. Martina Steinberger-Voracek: „Key Account Manager werden heute von der ersten Stunde an in Strategien eingebunden.“ Außerdem nehme die Internationalität von Verkaufsjobs zu. „Früher war die Sprache im Verkauf häufig ein Hemmschuh. Heute ist auch im Handel die Business-Sprache Englisch, zumal fast alle großen Handelsketten im CEE-Raum vertreten sind. Internationale Jobrochaden sind im Vertrieb mittlerweile üblich.“ Pollhammer pflichtet bei: „Eine internationale Karriere ist auch bei uns nicht nur möglich, sondern erwünscht. Durch die Konzentrationen im Handel und den immer stärkeren Wettbewerbsdruck ergeben sich auch mehr Gestaltungsmöglichkeiten. Früher waren Marktmanager nur Befehlsempfänger, heute können sie auch wirklich etwas bewegen.“

Welche Kompetenzen sind von Bewerberseite gefragt? Guido Lenz verweist auf die interne Verkäuferstudie: „An erster Stelle wurden von den 1600 befragten Konsumenten angegeben, dass Produkte verständlich erklärt werden müssen, gleich danach, dass Verkäufer freundlich und höflich sein müssen. Wir suchen vor allem Typen, die Charisma, Siegerwillen und Mut zu Neuem haben.“ Da der Servicegedanke sehr wichtig sei, würden auch explizit Leute aus der Tourismusbranche angesprochen.

Dass die menschliche Komponente entscheidend ist, weiß auch Hannes Mraz: „Das zeigt sich bei filialisierten Unternehmen. Wenn eine Filiale Probleme hat, liegt es nicht am Unternehmen, sondern an den Leuten.“ Steinberger-Voracek fügt hinzu: „Ein Verkäufer muss zuhören können und eine gewisse Konfliktfähigkeit mitbringen.“

Welche Rolle spielt hier die Weiterbildung? Verena Irrschik: „Im Handel gibt es eigentlich nur interne Schulungen, die einen hohen Praxisbezug haben. Hier sollte mehr der Blick von außen zugelassen und die Weiterbildung von der rein fachlichen zur persönlichen Ebene verlagert werden.“ Ähnliches gelte für das Führungskräfte-Recruiting: „Die Basis liegt im Unternehmen, aber man sollte auch offen für Quereinsteiger sein.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2007)

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