Befreien wir uns von Cordoba

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Österreich darf sich ruhig als kleiner Sieger der Euro-Auslosung sehen.

Mit Deutschland, dem dreimaligen Weltmeister, hat Rotweißrot sicherlich einen Wunschgegner in mehrfacher Sicht gezogen, denn der EM-Rekordteilnehmer wird uns als Veranstalterland so richtig gut tun. Es ist einfach unvermeidlich, dass die alte Rivalität wieder aufflammt, und exakt 30 Jahre nach Cordoba wird im kommenden Sommer der WM-Mythos von 1978 garantiert über Gebühr bemüht werden.

Dabei wird die Mannschaft von Teamchef Josef Hickersberger die Euro als krasser Außenseiter in Angriff nehmen, das war bereits lange vor der Auslosung in Luzern bekannt, und daran hat sich bis dato auch nichts geändert. Aber die Gegner Deutschland, Kroatien und Polen geben zumindest einen Funken Hoffnung. Von Chancenlosigkeit zu sprechen, das wäre Schwarzmalerei, nur grenzenlose und unverbesserliche Pessimisten malen jetzt schon den Teufel an die Wand.

Teamchef Hickersberger hat bei seinem Amtsantritt im Jänner 2006 das Erreichen des Viertelfinales als großes Ziel erklärt, mit der Rolle des Gastgebers allein will man sich beim Österreichischen Fußballbund (ÖFB) schließlich nicht begnügen. Zudem bekommt das Team nun die Chance, gleich mehrere offene Rechnungen zu begleichen. Nicht nur gegen Deutschland, sondern auch gegen Kroatien und Polen. Die Kroaten haben Österreichs Team zuletzt mit 4:1 vorgeführt, damals stand Hickersberger allerdings erst am Anfang seiner Arbeit. Im Juni 2008 müssen Andreas Ivanschitz und Co. zeigen, was sie dazugelernt haben.

Die Kroaten, die England mit einem sensationellen 3:2-Sieg im Wembley-Stadion aus dem Rennen um ein Euro-Ticket geworfen haben, verfügen über ein nicht enden wollendes Reservoir an Legionären, Salzburgs alternder Mittelfeld-Spieler Nico Kovacs ist nur einer davon. Er will seine internationale Karriere bei der Euro 2008 beenden, sein Klubkollege Rene Aufhauser könnte diesen Schritt beschleunigen. Die Kroaten, gerne als Brasilianer Europas bezeichnet, sind zwar fantastische Fußballer, mit der Disziplin aber nehmen sie es nicht immer so genau. Und genau darin liegt vielleicht die Chance der Österreicher. Dazu kommt, dass Slaven Bilic sein Team noch nie bei einem großen Turnier betreut hat, Hickersberger hingegen wird bei stürmischer See nicht so schnell flau im Magen.


Die Kroaten sind eine Art Angstgegner der Deutschen, nehmen sich die beiden Gruppenfavoriten gegenseitig Punkte weg, könnte dies Österreichs Aufstiegschancen bis zum dritten Spiel zusätzlich am Leben erhalten.

Gegen Polen hat Österreichs Team zuletzt bei der WM-Qualifikation für 2006 Bekanntschaft gemacht. Unter Teamchef Hans Krankl setzte es damals zwei Niederlagen. Die Polen selbst verabschiedeten sich aus Deutschland allerdings schon nach der Vorrunde. Klingende Namen sucht man in der Truppe des Holländers Leo Beenhakker vergeblich, der polnische Fußball ist auch nicht angsteinflößend. Man denke nur an Austrias Abwehrchef Bak. Ein solider Spieler, aber nicht mehr und nicht weniger.
Das Los Deutschland kann getrost als Segen betrachtet werden. Keiner wird diesen Gegner angesichts seiner Spielstärke und der vielen klingenden Namen unterschätzen. Obendrein werden die reisefreudigen Nachbarn die Euphorie endgültig ins Land bringen, das wird nicht einmal eine gewisse Bezirksvorsteherin verhindern können. Der größte Segen aber liegt darin, dass Österreich bei der Euro im eigenen Land die Möglichkeit bekommt, sich endlich von Cordoba und den Legenden von damals – der „78er-Generation“ – zu befreien. Diese einmalige Chance dürfen sich Österreichs Teamspieler der Gegenwart nicht entgehen lassen, sie kommt schließlich in dieser Form nie wieder.

Die Euro 2008 allein wäre an sich schon Herausforderung genug, das Spiel gegen Deutschland aber soll, kann, nein: es muss zum Befreiungsschlag werden. Denn schafft es die Mannschaft von Hickersberger nicht, ein neues Kapitel Fußballgeschichte zu schreiben, wird sie mit ganz Österreich weiter unter der Geißel Cordoba leiden müssen – vermutlich bis in alle Ewigkeit. Aber: Dann haben wir es auch nicht anders verdient.


wolfgang.wiederstein@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2007)

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