Musik auf lustig

Es fällt uns vielleicht schon gar nicht mehr auf, mit welchem Wust, ja mit welcher Gewalt an Frohsinn und dessen Trabanten man überschwemmt wird.

Man möge mir jetzt verzeihen. Aber der folgende Inhalt färbt nun doch auf meinen Stil und Satzbau ab.

Der Silvester ist nämlich vorbei.

Der legendäre 1.1. auch.

Die das alles umgebende Klangwolke auch.

Aber wir sind bedrängt worden, penetriert.

Nein, nicht der Fraß ist nun gemeint, nicht die gewinnträchtigen Besucherhorden auf Neujahrspfaden; auch vom Trinken bis ins eine oder andere hübsche Koma hinein ist nun nicht die Rede oder gar von den Vorhersagen und Horoskopen und Vornahmen bis in den Rang einer harschen Pflicht mindestens à la Kant.

Nein, es ging in den letzten Tagen und befördert durch die Medien und schon wie eine Staatsideologie vor sich hergetragen darum, lustig sein zu müssen, musikalisch beschwingt ins Neue Jahr zu rutschen (wer hat eigentlich diesen spießig-degoutanten „guten Rutsch“ erfunden?, derjenige nämlich gehörte durch die noch immer frischen 366 Tage geschleift!); aber fesch habe das alles zu sein und ausgelassen.

Der Tanz auf dem Vulkan sei die Eröffnung einer neuen Zeit.

Und beinahe jedes Medium machte mit.

Allein – geschenkt ...

Die beste und die schlechteste Musik

Als psychoanalytische Profis, also als ÖsterreicherInnen, wissen wir es sowieso und höchst genau: Das ist halt die übliche Flucht, das ist eben der Angst-Abbau, das ist lässige Basis-Arbeit der und an der Seele, dieser bösen und geschundenen und so liebenswürdigen.

Was aber allemal verblüfft (hat), das ist der Katalysator dazu.

Also die Musik.

Jede Musik nämlich.

Die beste und die schlechteste.

Die weltweit meistgehörte.

Gleich einmal ordentlich sich aufgeregt: Ja, um Himmels willen, warum muss dieser – uns sonst wie kaum was anderes bestimmende – Faktor „Musik“ wieder dafür herhalten, jenen Neujahrseskapismus in frische, schwindelnde Höhen zu treiben?

Es ist nämlich skurril.

Und wie.

Die Neujahrs- und Silvester-Sachen basieren, vor allem im öffentlichen, im medial beförderten Bereich, in all unserer Umwelt, auf Musik.

Mehr und „lustiger“ passiert das, als wir es spontan auch merken, ja mehr noch, als wir das sonst merken (wollen).

Also, es gab (in kleinster Auswahl berichtet):

Musikantenstadln mit dem Anspruch auf einen (sic!) andauernden „Gute-Laune-Express“.

Symphoniekonzerte mit ordentlichen Hineinfetzer-Stücken der Komponisten-Heroen.

Pop-Betroffenheiten und Soft-Disco-Schmus.

Raum- und Straßen- und Wohnungs-Beschallungen, eine lustiger als die andere.

Und überhaupt. Diese Massen an Klängen. Massen an Vorfabriziertem. An Sachen angeblich nur mehr zum Lachen.

Es gab sodann das Neujahrskonzert! ---

Pause.

„Kennen Sie eine lustige Musik? Ich nicht!“ – Das ist nicht etwa irgendein beleidigter Ausspruch eines Schopenhauer-Fans, das ist nämlich bloß ein tradiertes Frage-und-Antwort-Spiel des sowieso größten aller Komponisten; sein Name: Franz Schubert.

Und zum Jahreswechsel werden Hundertschaften an Milliarden ausgegeben, um wenigstens mit Musik, befördert durch sie, lustig zu sein. ---

Pause.

Wissen Sie eigentlich, dass mehr oder weniger keine Musik der letzten paar Tage, die gezielt in den und aus dem Heiterkeitstopf hinein- und hinausgeschmissen worden ist (weder beim Goldenen Saal noch im Silvesterstadl noch im Soft-Pop-Bereich) auch für einen Jahreswechsel geschrieben wurde? Dass wir so ja eigentlich jährlich einer ungemeinen Täuschung, einer gezielten Verblödung, einer Ausbeutung der Extraklasse aufsitzen?

Und im Gegenteil – das, was als lustig vorgeworfen wird, das ist peinlich, sehr sogar. Das ist eine Chimäre!

Die Tage und die Stunden um den Jahreswechsel ereignen sich wie die schlimmen Zeiten im Advent, bloß geballt.

Wie eine Papst-Messe auf lustig

Es fällt uns vielleicht schon gar nicht mehr auf, mit welchem Wust, ja mit welcher Gewalt an Frohsinn und dessen Trabanten man überschwemmt wird. Mit dem gönnerhaften Augenzwinkern vor dem Wechsel beginnt es; Kabarettisten stilisieren sich selbst hoch; Fernsehshows machen andauernd dasselbe; Innenstädte mutieren zu riesigen Rummelplätzen. Es gibt überhaupt nur mehr musikalisch umrahmte Eskapismen. Im Konzertbetrieb hat es sich eingebürgert, die Neunte vom Beethoven zu geben, weil dort am Schluss vom Götterfunken gesungen wird, der die Freude sein soll, zudem auch von feschen Frauen, vom Schmusen und vor allem vom Musik-umspülten Ansaufen.

„Kennen Sie ...?“ ---

Pause.

Und dann zogen wir ja doch wieder, realiter oder im Fernsehen oder am Radio hängend, in den sogenannten Goldenen Saal des Wiener Musikvereins ein. Alles war sofort vergessen und vergeben und verziehen sogar. Selbst die Lärmbelästigungen in den Innenstädten, die Kracher, die volkstümlich Heiteren, die Fast-food-Musici und so weiter. Jetzt ging es nämlich wieder in das Eingemachte der Lustigkeit, sozusagen in die höheren und höchsten Weihen des Musik-Heiteren. Und zwar weltweit ausgesandt und anbefohlen. Ein kollektives Wehren hatte wiederum eingesetzt, stattgefunden, eines gegen das Neue, gegen unbekannt Kommendes.

Voll mit Angst (und Musik).

Die Blumenpracht war schon eine solche, bloß nicht so gemeint. Es sah aus wie beim Parteitag in Peking. Und das setzte sich natürlich in die Fernsehbilder hinein fort (die auch diesmal wirkten wie eine liebe Retrospektive von Opas Musik-Kino, oder als hätte es seit 30 Jahren keine Neuerungen und Überlegungen zur optischen Darstellung von Live-Orchestern mehr gegeben). Man sah in all der Üppigkeit und zwischen den wirklich sagenhaft scheußlichen Kostümen für die im Sommer und im Herbst vorfabrizierten Tanzereien so irgendwas wie einen Dehmel für Arme.

Allein dann? Wir waren doch schließlich medial entlassen vom Silvesterstadl oder vom Walzer-Schmus eines Rieu? Dann kam am Dienstagvormittag dieser weltweit angebotene und offenbar noch immer unhinterfragte akzeptierte Gipfel eines nur mehr stilisierten Musik-Erheiterns. Ein ungemein liebenswürdiger Dirigent, der halt gelegentlich das Neujahrskonzert mit einem sentimentalistischen Pariser Salon verwechselte und Rubati schlug, nach welchen die Sträuße ihm wahrscheinlich so manche Partitur-Seite um die Ohren geschlagen hätten, sowie ein müdes Orchester, all sie machten wieder weiter im Heiter-Musik-Erstarrten. Ein leicht verkrampfter Haufen gab vor einem erstarrten Publikum ein Programm-Kuddelmuddel. Es war wie stets: Es war wie eine Papst-Messe auf lustig.

Fad, überwuzelt, abgestanden

Man gab Werke aus der Firma der wahrscheinlich weltweit bekanntesten Musik-Familie. Es erklang also einiges an lustiger Musik vom Strauß Senior, dem Vater, einem gehetzten Großmeister weiland, in mehreren Familien gleichzeitig lebend, sich über Europa ausbreitend, ein E.T.A.-Hoffmannesker Typ; viel kam vom Sohn, Johann, Jean, Schani, dieser Weltmusiker mit Phobien und Sarkasmus; auch von dessen Bruder Joseph, dem Sentimentalisten und Schubert-Nachfolger (ohne „lustig“); oder vom Herrn Joseph Lanner, manisch-depressiv. ---

Pause.

Musik hat die Eigenschaft, dass man sie brauchen kann zu vielen Handlungen. Oft wurde sie eine Hure genannt.

Eine lustige?

Eine fade ist sie vor allem gewesen in diesen letzten Tagen, eine in ihren Einsätzen schon überwuzelte, abgestandene.

Dr. Otto Brusatti ist Regisseur, Moderator und Autor. Zuletzt von ihm erschienen im mdv-Verlag: „Mord im Gewandhaus“.


meinung@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2008)

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