Der Mann, der die Bank sprengte

Garantierte Gewinnsysteme im Roulette kann die Mathematik nicht bieten. Die Physik sehr wohl – aber nur, wenn die Casinos nicht aufpassen. Letzter Teil der Mini-Serie über das Gewinnen im Roulette.

An den vergangenen Wochenenden wurde hier darüber geschrieben,
dass es keine Gewinnstrategie beim Roulette gibt. Und nun
das: Es gibt sie doch! Freilich keine, die auf
der Wahrscheinlichkeitsrechnung aufbaut,sondern auf der Physik. Die mathematischen Modelle sind ja hohle Versprechungen:
Bestenfalls bewirken sie, dass Gewinne wahrscheinlicher, aber kleiner werden und Verluste seltener, aber dafür größer.
Die Physik hingegen kann tatsächlich helfen. Am einfachsten dort, wo der Roulette-Zylinder fehlerhaft ist, etwa durch mit freiem
Auge nicht wahrnehmbare Einbuchtungen,durch unterschiedlich große Fächer für die einzelnen Zahlen oder durch einen „schiefen“ Zylinder. Berühmt wurde Joseph Hobson Jagger, ein britischen Mechaniker, der 1875 als „Mann, der die Bank von Monte
Carlo sprengte“, in die Geschichte eingegangen ist. Er hatte heimlich die Ergebnisse der sechs Roulette-Tische des Casinos mitschreiben lassen und festgestellt, dass eine bestimmte Walze offenbar so schlecht ausbalanciert war, dass neun Zahlen auffallend
öfter kamen als die anderen. Dieses Wissen ermöglichte Jagger – angeblich mit Sir Mick verwandt –, innerhalb weniger Tage zwei
Millionen Francs, in heutigem Geld über vier Millionen Euro, zu gewinnen. Und das, obwohl das misstrauisch gewordene Casino
mittendrin die Tische vertauschte. Jagger hat danach nie wieder gespielt, aber seine
Arbeit in einer Sägemühle aufgegeben und sich als Immobilieninvestor betätigt.
Mit der Zeit wurde freilich die Technik der Hersteller so verfeinert, dass es mittlerweile
sehr schwer geworden ist, Ungleichgewichte
zu erkennen. Doch spielende Physiker
haben eine andere Möglichkeit gefunden,
das Ziel einer Roulette-Kugel zu errechnen:
In den meisten Spielbanken darf nämlich
noch gesetzt werden, nachdem der Croupier
die Kugel in die Roulette-Schüssel geworfen
hat. Sie läuft dann am äußeren Rand
der Schüssel, gewöhnlich in die Gegenrichtung
der Walze, bis ihr Schwung so weit
nachgelassen hat, dass sie einen spiralförmigen
Weg in die Mitte der Schüssel antritt,
wo sie nach einigem Holpern in einem Zahlenfach
liegen bleibt. Noch bevor das der
Fall ist, sagt der Croupier allerdings: „Nichts
geht mehr.“ Die kurze Zeit zwischen dem
Wurf der Kugel und diesenWorten kann der
Kenner nützen, um durch Beobachtung der
Rotorgeschwindigkeit der Walze, der Geschwindigkeit
der Kugel und der Ausgangsstellung
des Zahlenrads jene Region auszurechnen,
in der die Kugel mit größter Wahrscheinlichkeit
zum Liegen kommt. Weil
aber sowohl die dazu nötige Beobachtungsgabe
wie auch die erforderliche Rechengeschwindigkeit
übermenschliche Qualitäten
erfordern, hat die Gefahr solcher Methoden
die Casinos lange Zeit kalt gelassen. Bis das
Computerzeitalter kam.
Es ist ein weiterer Beweis für die Bedeutung
des Spiels für die Kulturgeschichte der
Menschheit, dass der erste tragbare Computer
der Welt genau dafür gebaut worden ist:
zur Prognose von Roulette-Zahlen. Und der
Schöpfer war nicht irgendwer, sondern
einer der bedeutendsten Wissenschaftler
des 20. Jahrhunderts: der „Vater der Informationstheorie“,
Claude Elwood Shannon,
der 1940 den Nobelpreis für seine bahnbrechenden
Arbeiten zur Digitalisierung erhalten
hat. Ende der Fünfzigerjahre bekam
Shannon, der damals am berühmten Massachusetts
Institute of Technologie (MIT) in
Boston lehrte, Besuch von einem jungen
Mathematiker: Edward Thorp hatte seine
Kenntnisse der Statistik und der Programmierung
schon genützt, um ein höchst lukratives
Karten-Zählsystem für Black Jack zu
entwickeln.
Thorp und Shannon nahmen sich nun
des Roulettes an, begannen zu rechnen und
zu basteln und produzierten 1961 einen Zigarrenschachtel-
großen Computer, der, mit
einem Stroboskop ausgerüstet, Ball- und
Rotorgeschwindigkeit messen und daraus
das Ziel der Kugel ausrechnen konnte. Laut
Thorp gab ihnen das Gerät einen Chancenvorsprung
von 44 Prozent, wenn sie auf die
Zielzahl sowie die vier linken und rechten
Nachbarn auf dem Roulette-Rad setzten.
Nach Laborversuchen in Shannons Haus
überprüfte man die Wirksamkeit des Apparates
in der Praxis von Las Vegas – erfolgreich,
wie Thorp schreibt. DerMathematiker
hat sich dann später dann auf die Börse verlegt
und mit Methoden zur Erkennung von
Preis-Ungleichgewichten viel Geld gemacht.
Erst 1966 gab Thorp in einem Buch die
Existenz des Roulette-Computers in einem
Buch bekannt. Interessanterweise war das
Thema aber schon 1961 in dem Film „The
Honeymoon Machine“ („Die Heiratsmaschine“)
popularisiert worden. In dieser unterschätzten
Komödie funktionieren zwei
Marineoffiziere – einer davon gespielt von
Steve McQueen – den neuen Computer der
Flotte um, der eigentlich dazu da ist, den
Einschlagort feindlicher Raketen zu errechnen.
In Venedig stationiert, schicken die Offiziere
vom Casino aus die notwendigen Daten
per Lichtsignal an Bord, von dort werden
ihnen die Gewinnzahlen zurücksignalisiert.
Der Schönheitsfehler: McQueen und
sein Kamerad setzen immer exakt auf die
Gewinnzahl – und so genau kann ein Computer
auch wieder nicht arbeiten.
Gelungener Coup im noblen Ritz
Seitdem tauchen Computer immer wieder
in Spielcasinos auf. 2004 verhaftete die britische
Polizei zwei als „elegant“ beschriebene
Serben und eine 32-jährige Ungarin („chic
und gut aussehend“), die im noblen Ritz Casino
in London 1,3 Millionen Pfund in zwei
Nächten gewonnen hatten. Mit Hilfe eines
im Handy versteckten Lasergerätes stellten
sie die Stellung des Roulette-Zylinders und
die Ballgeschwindigkeit in jenem Moment
fest, in dem der Croupier die Kugel in die
Schüssel warf. Ein Mikrocomputer verarbeitete
diese Daten und zeigte auf dem Handy-
Display die voraussichtliche Gewinnzahl an.
Das Trio setzte auf die sechs Zahlen im Umfeld
des Gewinners – und das in Windeseile,
denn Einsätze sind nur bis zum jeweils dritten
Umlauf der Kugel gestattet.
Nach neun Monaten Untersuchungshaft
musste das Trio wieder auf freien Fuß gesetzt
werden: Sie hatten gegen kein Gesetz
verstoßen. Betrug wäre nur dann vorgelegen,
wenn sie die Roulette-Schüssel manipuliert
hätten. Sie erhielten ihr Geld zurück.
In den meisten Ländern der Welt sind solche
Geräte allerdings verboten. In Österreich
scheint das ein Graubereich zu sein –
einen eigenen Straftatbestand gibt es jedenfalls
nicht, und um ausjudiziert zu sein, gab
es noch zu wenige Fälle. „Es kommt so gut
wie nicht vor“, sagt der Pressesprecher der
Casinos Austria, Martin Himmelbauer. Und
wenn doch, wie etwa einmal vor zwei Jahren,
gibt es eine Sperre für den Spieler und
eine Anzeige. Übers Internet ist es jedenfalls
ganz leicht, sich solche Geräte zu beschaffen.
Von 1000 bis 100.000 Dollar reichen die
Angebote, wobei ein Verleumdungs-Kleinkrieg
zwischen den Anbietern stattfindet,
die einander wechselseitig des Betrugs bezichtigen.
Ein Graubereich, wie gesagt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.