Linguistik: Die Sprache macht Sprünge

(c) AP (Mast Irham)
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Das Vokabular ändert sich vor allem in Zeiten der Aufspaltung.

„Unsere Ehre verlangt, dass wir als unabhängige Nation unser eigenes System haben, in der Sprache wie auch in der Regierung“, schrieb der amerikanische Linguist Noah Webster 1789 in den „Dissertations on the English Language“. 1806 erschien sein erstes Wörterbuch, ab 1828 hieß es „American Dictionary of the English Language“.

Mit Websters Erklärung der sprachlichen Unabhängigkeit sei das amerikanische Englisch „abrupt entstanden“, schreiben Psychologen um Mark Pagel (Reading, UK; Santa Fe Institute, USA) in Science(319, S.588); das sei ein Beispiel für rapide, quasi punktuelle Änderungen in der Sprachenentwicklung.

Neue Inseln, neue Sprachen

Verläuft diese eher sprunghaft oder gleichmäßig? Die Frage erinnert an einen Richtungsstreit in der Biologie: Stephen Jay Gould meinte, die Evolution laufe nicht in kleinen Schritten, sondern in großen Sprüngen, mit langen Perioden des Stillstandes dazwischen; Richard Dawkins widersprach heftig.

Pagel und Kollegen untersuchten diese Frage in der Linguistik quantitativ – anhand von drei großen Sprachgruppen: Bantu (gesprochen in Süd- und Mittelafrika), Austronesisch (Taiwan, Polynesien und Ozeanien) und Indoeuropäisch. Untersucht wurde die Entwicklung von je 100 bis 210 Wörtern für Begriffe, die möglichst wenig zweideutig sind, z.B. Körperteile, Tiere, Zahlen. Ergebnis: Die Wörter ändern sich umso schneller, je mehr Verzweigungspunkte (an denen aus einer Sprache zwei werden) „auf dem Weg liegen“. Besonders stark ist der Einfluss von Phasen, in denen sich Sprachen aufspalten, in Polynesien. Kein Wunder, meinen die Forscher, schließlich wurden dort oft von nur wenigen „Gründervätern“ neue, kleine Inseln besiedelt, wo sich dann eine eigene Sprache entwickeln konnte. Dahinter stehe die Fähigkeit von Menschen, „in kritischen Zeiten der kulturellen Evolution die Sprache schnell anzupassen“.

Die Arbeit hat ihre Schwächen. So wurden nur Wörter, nicht Grammatik untersucht. Und es bleiben Fragen. Etwa nach der Rolle der Schrift: Bremst sie durch ihren konservativen Charakter die Sprachentwicklung? Interessant wäre auch das Beispiel des österreichischen Deutsch, gegen dessen Eigenständigkeit (manifestiert z.B. im „Österreichischen Wörterbuch“) u.a. das Fernsehen wirkt. Ist es denkbar, dass in hundert Jahren auch in Österreich „Ich habe gestanden“ statt „Ich bin gestanden“ als richtig gilt? tk

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2008)

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