Die Welt bis gestern: 1. Mai 1938 – Tag der nationalen Arbeit

Jubel und ein Praterfest. Doch die Nürnberger Rassengesetze sorgen für Angst und Schrecken.

Mit einem 1.Mai der ganz anderen Art überraschte das NS-Regime 1938 die Österreicher. Der „Tag der Nationalen Arbeit“ fiel auf einen Sonntag, es herrschte prachtvolles Frühlingswetter – und wieder einmal waren der Wiener Rathausplatz und der Heldenplatz Sammelpunkt der Menschenmassen.

Ein Spielmannszug der Wehrmacht, Infanterie in neuen Uniformen, Flieger, Polizei, SA-Männer, Autofahrer der Nationalsozialistischen Kraftfahrkompanie (NSKK) mit ihren schwarzen Mützen, Hitlerjungen in weißen Hemden, dahinter die schwarzen Reihen der SS. Und dann die Arbeiter, die geschlossen aus ihren Betrieben anmarschiert waren. Ein überdimensionaler Maibaum bildete den Mittelpunkt. Man sah den Rathausmann, dem man eine Hakenkreuzfahne verpasst hatte, und in der Ferne die Votivkirche, zwischen deren Türmen ebenfalls eine Fahne ausgespannt war.

Ein letzter schöner Tag für Seyß

Lautsprecher übertrugen die pompösen Feierlichkeiten aus Berlin, zu denen aus der „Ostmark“ eine starke Delegation von Arbeitern mit Reichsstatthalter Artur Seyß-Inquart geladen war, die es genoss, von den Berlinern umjubelt zu werden. Schon am frühen Morgen waren 150.000 Hitler-Jungen und BDM-Mädchen im Olympiastadion angetreten, wo Reichsjugendführer Baldur von Schirach seine Heerschau abhielt und ein selbst verfasstes Poem einflocht. Schirach fühlte sich ja als verhinderter Musensohn, was ihm später die Reichsstatthalterschaft in Wien eintragen sollte. Danach fand die zentrale Feier mit Hitler-Ansprache im Berliner Lustgarten statt. Auch hier waren die „Ostmärker“ viel bejubelte Ehrengäste.

Höhepunkt bei einer anschließenden Festsitzung der Reichskulturkammer in Berlin war die Bekanntgabe der Preisträger für den besten Film des Jahres („Olympia – Fest der Völker, Fest der Schönheit“ von Leni Riefenstahl) und das beste Buch 1937/38. Der Preis ging an das „Lied der Getreuen – Verse ungenannter österreichischer HJ“. Eine Kostprobe daraus:
Uns ist ein glückliches Leben nicht gegönnt,
Verstummt der Chor der Gewaltigen
und der Hammerschlag bauender Brüder,
Das Tuch der blutenden Fahne
birgt die Faust des Letzten und
kein Hornruf braust über verlorene Reihen.
Daher, lieber Vater und Mutter,
tragen wir Kampf,
und wenn der Krieg rot über die Hügel reitet
fallen wir nicht vor Mauer und Turm.
Uns ist ein glückliches Leben nicht gegönnt, aber wir, der fernsten Grenze Knecht,
sind dir am nächsten,
o heiliges Herz Deutschland.
*

Am Nachmittag gestalteten die größeren Städte in Deutschland Volksfeste. Den Wienern wurde ein ganz besonders prächtiges auf der Jesuitenwiese im Prater geboten. Zelte und Schaubuden waren aufgerichtet, rapportiert die „Neue Freie Presse“, die seit den Märztagen bereits unter kommissarischer Verwaltung aus dem „Altreich“ stand.Ein junger linientreuer Mann aus Saarbrücken war abkommandiert worden, um die traditionsreiche Zeitung fürs Erste zu leiten. Die jüdischen Redakteure mussten schon am 14.März das Verlagshaus verlassen. Einige begingen Selbstmord, einige wurden verhaftet, einige konnten ins Ausland fliehen. Der Rest der Redakteure stand ab sofort unter dem „Staatsschutzgesetz“. Das bedeutete Strafverschärfung: Jede Nachlässigkeit im Dienst wurde als „Sabotage“ gewertet.

„Grandiose Effekte“

Und so berichtet die „Neue Freie Presse“ pflichtschuldigst: „Natürlich gab es wieder ein Kinderreiten auf Polizeipferden und Autorundfahrten in fabelhaften Privatwagen. Bald scharten sich die Leute um den Kinderzirkus der HJ und des BDM, bald ließen sie sich von den Moritaten des Bauerntheaters erschüttern, bald rutschten sie auf dem Rettungstuch der Feuerwehr um die Wette. – Das abendliche Feuerwerk beim Praterstadion bot grandiose Effekte. Eine Symphonie in frohen Farben, ein Trommelfeuer von Donnerschlägen. Das Volk stand, schaute und war überwältigt. ,Schön war's', sagten die Zehntausende, als sie vom Prater nach Hause gingen, und waren ebenso befriedigt wie müde.“

Aber auch die „ostmärkischen“ Fußballfans konnten zufrieden sein: In Berlin fand an diesem Tag nur eine einzige Sportveranstaltung statt: Rapid-Wien siegte über Hertha=BSC mit 6:1! 15.000 Zuschauer verfolgten dieses „genussreiche Zusammenspiel der Wiener mit Begeisterung“. Im Sommer sollte sich Rapid-Wien auch den Deutschen Fußballcup holen, der seit 1935 „Tschammer-Pokal“ hieß, benannt nach dem „Reichssportführer“ Hans von Tschammer und Osten.

Die Juden – vogelfrei

An diesem 1. Mai 1938 trat aber auch das Reichsgesetz „über den Aufbau der Verwaltung in der Ostmark“ in Kraft. Das sogenannte „Ostmark-Gesetz“ hatte die Auflösung der Landesregierungen zum Inhalt, erläutert die Wiener Historikerin Anna Maria Sigmund. Und die Befugnisse des Reichsstatthalters Seyß-Inquart gingen auf Gauleiter Josef Bürckel über. Während Seyß in Berlin noch repräsentierte, war sein Traum, in Wien eine führende politische Rolle zu spielen, mit dem 1. Mai 1938 ausgeträumt.

Da waren die berüchtigten „Nürnberger Rassengesetze“ aus dem Jahr 1935 schon längst für Österreich gültig. Und zwar ab 13.März1938. An diesem Tag waren durch das „Bundesverfassungsgesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ alle Gesetze aus dem „Altreich“ auf die neue „Ostmark“ umgelegt worden. So auch jene beiden, die die Juden rechtlos werden ließen (ein Auszug daraus im Kasten). In der „Ostmark“ betraf dies 185.246 „Volljuden“ und mindestens 150.000 „Viertel-“, „Halb-“ und „Dreivierteljuden“.

NÜRNBERGER GESETZE. „Ein Jude kann nicht Reichsbürger sein“

Reichsbürgergesetz vom 15. 9. 1935

§ 1Staatsangehöriger ist, wer dem Schutzverband des Deutschen Reiches angehört und ihm dafür besonders verpflichtet ist. Die Staatsangehörigkeit wird nach den Vorschriften des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes erworben.

§ 2Reichsbürger ist nur der Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes, der durch sein Verhalten beweist, daß er gewillt und geeignet ist, in Treue dem deutschen Volk und Reich zu dienen [. . .]


Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 15. 9. 1935

§ 11. Eheschließungen zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes sind verboten. Trotzdem geschlossene Ehen sind nichtig, auch wenn sie zur Umgehung dieses Gesetzes im Auslande geschlossen sind. 2. Die Nichtigkeitsklage kann nur der Staatsanwalt erheben.

§ 2Außerehelicher Verkehr zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes ist verboten.

§ 3Juden dürfen weibliche Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes unter 45 Jahren nicht in ihrem Haushalt beschäftigen.

§ 41. Juden ist das Hissen der Reichs- und Nationalflagge und das Zeigen der Reichsfarben verboten. 2. Dagegen ist ihnen das Zeigen der jüdischen Farben gestattet. Die Ausübung dieser Befugnis steht unter staatlichem Schutz.

§ 51. Wer dem Verbot des § 1 zuwiderhandelt, wird mit Zuchthaus bestraft. 2. Der Mann, der dem Verbot des § 2 zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis oder mit Zuchthaus bestraft. 3. Wer den Bestimmungen der § 3 oder § 4 zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft [. . .] Verordnung zum Reichsbürgergesetz

§ 11. Bis zum Erlaß weiterer Vorschriften über den Reichsbürgerbrief gelten vorläufig als Reichsbürger die Staatsangehörigen deutschen oder artverwanden Blutes, die beim Inkrafttreten des Reichsbürgergesetzes das Reichstagswahlrecht besessen haben oder denen der Reichsminister des Inneren in Einvernehmen des Stellvertreters des Führers das vorläufige Reichsbürgerrecht verleiht. 2. Der Minister des Inneren kann im Einvernehmen mit dem Stellvertreter des Führers das vorläufige Reichsbürgerrecht entziehen.

§ 21. Die Vorschriften des § 1 gelten auch für die Staatsangehörigen, die jüdische Mischlinge sind. 2. Jüdischer Mischling ist, wer von ein oder zwei der Rasse nach volljüdischer Großelternteilen abstammt, sofern er nicht nach § 5 Abs. 2 als Jude gilt. Als volljüdisch gilt ein Großelternteil ohne weiteres, wenn er der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört hat.

§ 3Nur der Reichsbürger kann als Träger der vollen politischen Rechte das Stimmrecht in politischen Angelegenheiten ausüben und ein öffentliches Amt bekleiden.

§ 41. Ein Jude kann nicht Reichsbürger sein. Ihm steht ein Stimmrecht in politischen Angelegenheiten nicht zu; er kann ein öffentliches Amt nicht bekleiden. 2. Jüdische Beamte treten mit Ablauf des 31. Dezember 1935 in den Ruhestand. Wenn diese Beamten im Weltkrieg an der Front für das Deutsche Reich oder für seine Verbündeten gekämpft haben, erhalten sie bis zur Erreichung der Altersgrenze als Ruhegehalt die vollen zuletzt bezogenen ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge [. . .]

§ 51. Jude ist, wer von mindestens drei der Rasse nach volljüdischen Großeltern abstammt. § 2 Abs. 2 Satz 2 findet Anwendung. 2. Als Jude gilt auch der von zwei volljüdischen Großeltern abstammende staatsangehörige jüdische Mischling, a) der beim Erlaß des Gesetzes der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört hat oder danach in sie aufgenommen wird, b) der beim Erlaß des Gesetzes mit einem Juden verheiratet war oder sich danach mit einem solchen verheiratet, c) der aus einer Ehe mit einem Juden im Sinne des Absatzes 1 stammt, die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 15. September geschlossen ist, d) der aus dem außerehelichen Verkehr mit einem Juden im Sinne des Absatzes 1 stammt und nach dem 31. Juli 1936 außerehelich geboren wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2008)

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