Angie Total und Angie Royal

Das „Echo“ auf den Oslo-Auftritt von Angela Merkel zeigt, dass Frauen in der (Spitzen-)Politik wohl noch lange nach anderen Kriterien bewertet werden als Männer.

Es muss ja nicht immer Carla Bruni sein, die über Monate hindurch Volk und Medien ebenso beschäftigte wie begeisterte und eben dieselben vergessen half, dass der ihr mittlerweile Angetraute Nicolas Sarkozy doch ob der Verheißung anderer Qualitäten in den Regierungspalast gewählt wurde.

Diesmal überschwemmten die versammelten Fotoagenturen mit ihren Ein- und Ausblicken – nein, nicht von der architektonisch prachtvollen Volksoper in Oslo – die ganze europäische Medienmaschinerie. Nein, das völlig unerwartete fototechnische Eindringen ins Dekolletée der deutschen Super-Kanzlerin Angela Merkel verscheuchte endlich die zunehmend nervigen Horrormeldungen über die unendliche Finanzkrise und die Dauerhilflosigkeit der Klimawandler. Welch ein abwechslungs-gelungener Ausblick!

Einige moralfeste Blätter schäumten: skandalöse Bilder! Doch das Frontorgan des deutschen Boulevard, die schlagzeilenmächtige Bild-Zeitung („Wir sind Papst“), hämmerte etwas folgerichtig von „Angie Royal“. Wobei nicht klar war, ob sie dieselbe bereits in den Adelsrang, von deren Vorbild Katharina die Große schon entrückt hat, oder einfach festhielt, dass Angie an diesem Abend anderen Premiere-Gästen mit König Olaf und Königin Sonja und der schönen Prinzessin Mette Marit an der Spitze einfach die Show stahl.

Abmontierter Super-Macho Schröder

Erinnern wir uns zurück an den für Außenstehende geradezu amüsanten Fernseh-Abend anlässlich der letzten deutschen Bundestagswahlen. Der von den Wähler/innen gerade abmontierte Super-Macho Gerhard Schröder erlitt einen auch hierzulande bisweilen auftretenden Erkenntnisstau: Der vollzogene Wähler-Irrtum war für ihn evident und für eine (diese!) Frau das Feld zu räumen, so was wie „Vaterlands-Verrat“: „Die kann das nicht!“ Schnell hat Angela Merkel intellektuell, machtbewusst, strategisch denkend und handelnd bewiesen, dass sie es kann.

Das „Echo“ auf ihren Oslo-Auftritt zeigt aber, dass Frauen in der (Spitzen)Politik wohl noch lange nach anderen Kriterien bewertet werden als Männer. Besonders im Felde der Politik ist heute die Frage der Inszenierung, des Auftritts oft schon wichtiger als in der professionellen Oper. Männer haben es einfach leichter: Stärke demonstrieren, Durchschlagskraft, ein fester Wille, durchschnittliche Grundintelligenz, ein bisschen Humor und zumindest ein Schuss Charisma – also simple Männlichkeit genügt. Für erfolgreiche Frauen ist das durchaus diffiziler: Neben den für erfolgreiche Männer notwendigen (positiven) Eigenschaften stellt sich für sie die oft schwer zu lösende Frage, wie viel Frau, wie viel Mann sie darstellen soll. Gibt sie sich zu männlich, gilt sie als unweiblich, daher unsympathisch. Gibt sie sich zu wenig männlich, gilt sie als weich, schwach und daher unfähig. Frisur, Kleidung, körperliche Erscheinung werden bei Frauen ganz anders wahrgenommen als bei Männern.

Kein Geschlechtsneutrum

Dass nun mehr Angela Merkel nach rund zwei gut durchgestandenen – in jedem Fall gut durchgeknöpften – Regierungsjahren der völlig verblüfften Medienschar ein derartig beeindruckendes Dekolletée von Sophia Lorenschen Ausmaß enthüllt, zeigt aber, wie diese Frau, die lange als graue Maus, als Geschlechtsneutrum dargestellt wurde, nun mehr so selbstbewusst auftritt, dass in Hinkunft politische Spitzenfunktionen nicht mehr ausschließlich an männlichen Kriterien sondern zunehmend an „merkelschen“ Maßstäben gemessen werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2008)

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