Großmutterzelle ist wieder da

JANE GOODALL
JANE GOODALL(c) APA/EPA/ALEJANDRO GARCIA
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Im Gehirn sind bestimmte Neuronen für das Erkennen individueller Gesichter zuständig. Das wurde jetzt an Affen bestätigt.

„Bei mehreren Gelegenheiten habe ich mich dafür entschuldigt, dass ich fast in einen großen, bärtigen Mann hineingelaufen bin, und dann habe ich bemerkt, dass ich das selbst im Spiegel bin.“ So beschrieb Oliver Sacks das Leiden, das ihm aus seiner Praxis wohlvertraut und mit dessen Beschreibung er berühmt geworden war: Ein Patient wollte beim Gehen den Hut aufsetzen, er griff stattdessen nach dem Kopf seiner Frau, er konnte Hut und Kopf nicht unterschieden, litt an schwerer Form von Prosopagnosie, der Unfähigkeit, Gesichter zu unterscheiden.

Prosopagnosie: Sacks, Goodall, Dirac

Dass Sacks selbst das Leiden in einer milden Form teilte, wusste er bei diesem Erlebnis noch nicht, er bemerkte es erst spät, auch anderen Betroffenen, Jane Goodall etwa oder dem Physiker Paul Dirac, fiel es so rasch nicht auf, man kann sich unvermerkt behelfen, etwa indem man sich auf ein bestimmtes Detail des Gesichts konzentriert. Deshalb gibt es auch nur grobe Schätzungen: Etwa 2,5 Prozent aller Menschen haben mit dem Erkennen von Gesichtern Probleme. Das sind eher wenige, denn die Aufgabe ist enorm: Erst einmal muss man ganz generell Objekte erkennen, dann besondere Objekte: Gesichter, dann ganz besondere: individuelle Gesichter, all die hunderte, tausende, die im Leben an einem vorüberziehen. Die muss man sich merken, und täglich kommen neue hinzu. Sie alle zeigen sich zudem in den verschiedensten Ausdrücken, und in den verschiedensten Winkeln, von vorn, im Profil. Wer bringt Ordnung in die Informationsflut?

„Die Großmutterzellen“, antwortete 1969 Jerry Letvin, kurz zuvor hatte Jerzy Gonoski „gnostic neurons“ vorgeschlagen, „wissende Hirnzellen“: Gemeint war, dass es einzelne hoch spezialisierte Zellen im Gehirn gibt, die sich ein Bild von einer Person machen – der Großmutter etwa – und sich das einprägen. Die Zunft der Hirnforscher schüttelte die Köpfe, 2005 zeigte sich in Experimenten das früher nur Postulierte, diesmal nannten die Forscher es „Jennifer Aston Cell“, die Zunft schüttelte wieder die Köpfe.

Wie soll man es auch zeigen, man müsste einzelne Hirnzellen anzapfen! Exakt das hat David McMahon (NIH) getan, an Rhesusaffen, in ihren Gehirnen hat er hunderte Zellen verdrahtet und die Aktivitäten über ein Jahr lang gemessen: Es gibt Zellen, nicht einzelne, aber Cluster, die auf individuelle Gesichter spezialisiert sind (Pnas, 19.5.). McMahon vermutet, dass diese Spezialisten für Stabilität mit plastischen Zellen zusammenarbeiten, die sich in stets neue Gesichter einlernen. (jl)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2014)

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