Der längste Tag in Amerikas „gutem Krieg“

Am Freitag wird des Beginns der siegreichen Invasion der Alliierten in der Normandie vor 70 Jahren gedacht. Wie man in Deutschland und Österreich in den letzten Jahren auf dieses Ereignis zurückgeblickt hat.

Die führenden Staatsmänner der siegreichen Alliierten des Zweiten Weltkrieges treffen sich am morgigen Freitag anlässlich des 70. Jahrestages der Invasion am 6. Juni 1944 zum traditionellen Stelldichein in der Normandie. Mit den damaligen Landungen entlang der Küste gelang es amerikanischen, britischen und kanadischen Truppen, Brückenköpfe zu schlagen. Das war der Anfang vom Ende der Hitlerschen Okkupation Westeuropas.

Beim 40. und beim 50. Jahrestag 1984 und 1994 waren Amerikaner, Briten und Franzosen bei diesen Erinnerungsfeiern noch unter sich. Zusammen mit Tausenden von Soldaten pflegte man das Gedenken an die verlustreichen Kämpfe und trauerte um die vielen Gefallenen. Zum 60. Jahrestag 2004 wurden erstmals auch der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder und der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, eingeladen.

„Spektakel und Gedenken“

Es war höchste Zeit für Amerikaner und Briten, endlich auch den Anteil der Roten Armee an der Niederringung von Hitlers Wehrmacht zu konzedieren. Putin und Angela Merkel sind auch morgen zu den Gedenkfeierlichkeiten geladen.

„Der längste Tag“ ist vor allem bei den Amerikanern seit Präsident Ronald Reagans Besuch in der Normandie 1984 zu einem identitätsstiftenden Ereignis geworden. Im amerikanischen Selbstverständnis hat „die größte der Generation“ in der US-Geschichte damals mit ihrem Sieg über Hitler den Europäern Freiheit und Frieden gebracht.

In dem in den Gedenkfeiern in der Normandie immer wieder zur Schau gestellten Triumphalismus sehen die Amerikaner den Zweiten Weltkrieg als den „guten Krieg“. Der „Presse“-Korrespondent sah in den Feiern 1984 „Spektakel und Gedenken ineinander übergehen“.

Die deutsche Erinnerung an die Invasion in der Normandie war anfangs von Paul Carrells Bestseller „Sie kommen!“ (1960) geprägt. Carrell hieß eigentlich Paul Schmidt, der im Krieg ein hoher SS-Offizier gewesen war. In seinen Büchern pflegte er den Mythos der „sauberen Wehrmacht“. In „Sie kommen!“ wurden die tapferen deutschen Landser in einer Materialschlacht von den überlegenen Alliierten aufgerieben.

In Zeitzeugeninterviews mit deutschen und österreichischen Wehrmachtsoldaten tauchte dieser Topos bis in die heutige Zeit immer wieder auf. Hitlers strategische Fehler ignorierte man. Auch die Verfilmung von Cornelius Ryans „Der längste Tag“ (1962) präsentierte eine „saubere Wehrmacht“.

Bedeutete die Invasion der Alliierten am 6. Juni 1944 auch den Anfang vom Ende der Nazi-Herrschaft in Deutschland? Deutsche Politiker und Kommentatoren sehen seit dem 40. Jahrestag der Invasion 1984 den 6. Juni als Beginn der Befreiung. Theo Sommer schrieb in der „Zeit“, die alte Welt schulde den Alliierten tiefste Dankbarkeit für die damalige Befreiung vom „Reich des Bösen“.

Bunker als stumme Zeugen

1984 war Deutschland noch geteilt. Die Westdeutschen rückten allmählich zu „Gastsiegern“ auf, monierte Sommer, während die Ostdeutschen „auf den Trümmern der Hitler-Katastrophe sitzen blieben“. „Die Welt“ zeigte sich damals verärgert, dass Bundeskanzler Helmut Kohl nicht eingeladen worden war. Beim noch größer gefeierten 50. Jahrestag der Normandie-Landungen 1994 meinte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ die Invasion sei „der Anfang vom Ende der Hitler-Diktatur“ gewesen. Josef Joffe war derselben Meinung in der „Süddeutschen Zeitung“: „D-Day war tatsächlich der Beginn der Befreiung, auch und gerade für die Deutschen.“

Kohl war 1994 wieder nicht mit dabei – angeblich, weil sein Bruder in den Normandieschlachten schwer verwundet worden war. Als Kanzler Schröder auf Einladung vom französischen Präsidenten Jacques Chirac 2004 zu den Gedenkfeiern in die Normandie kam, besuchte er einen Friedhof der Alliierten, wo auch einige hundert deutsche Soldaten begraben lagen. Nach La Cambe, dem größten deutschen Soldaten-Friedhof, ging er nicht und wurde dafür in der deutschen Presse heftig kritisiert.

In La Cambe wurden nach dem Krieg 21.500 der 77.976 gefallenen Wehrmachtsoldaten begraben. Neben den Friedhöfen, gibt es an den Küsten Frankreichs auch noch die „Ruinenromantik“ der Überreste von Tausenden von Bunkeranlagen des „Atlantikwalls“, die die Nazis nach der Invasion evakuiert und als „stumme Zeugen“ zurückgelassen hatten.

Kanzler Schüssels Lektion

Wie steht es um die österreichische Erinnerung an die Invasion? Die Politik ignorierte dieses Gedenken tunlichst. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel erwähnte zwar die Invasion in einer Rede im Parlament am 4. Juni 2004: „Aus dem Schrecken dieser Tage ist eigentlich die Vision Europa, ein friedlicher, starker, geeinter Kontinent, entstanden.“ Für Schüssel war die Lektion aus dem D-Day das Wertefundament für Europa schlechthin: „Nie wieder Krieg!“ Aber auch Schüssel konnte sich nicht dazu durchringen, den Alliierten für die Befreiung Österreichs, die mit der erfolgreichen Landung in der Normandie ihren Anfang genommen hatte, zu danken. Dazu war er wohl zu sehr in der österreichischen „Opferdoktrin“ verwurzelt.

Die österreichischen Presse-Kommentare machten sich entweder lustig über den „Hollywood-Kitsch“ der Erinnerungsfeiern 1994, oder sie mokierten sich darüber, dass Deutsche und Russen nicht zum „privaten Allerseelen der Amerikaner, Briten und Franzosen“ eingeladen worden waren.

8000 Gefallene aus Österreich

Wenn es um die Erinnerung an eine der großen Schlachten des Zweiten Weltkrieges ging, überließen die Österreicher gerne den Deutschen das schwere Erbe Hitlers. Aber es waren auch viele Österreicher bei der Abwehr der Invasionarmeen am 6. Juni dabei. Geht man davon aus, dass die Österreicher etwa ein Zehntel der deutschen bewaffneten Verbände im Zweiten Weltkrieg stellten, so sind möglicherweise bis zu 8000 Männer aus den „Donau- und Alpengauen“ in den Gefechten in der Normandie gefallen.

Es nimmt also kein Wunder, wenn auch ehemalige österreichische Wehrmachtssoldaten immer wieder magisch von den Gedenkfeiern in der Normandie angezogen wurden und an die Orte des Geschehens zurückkehrten.

Leutnant Hans Höller aus Potschach in Niederösterreich war Zugführer in der 21. Panzerdivision und in die Kämpfe um die Brücke über den Orne-Kanal involviert. Englische Eliteverbände waren dort in der Nacht zum 6. Juni mit Lastenseglern gelandet und hatten die Brücke im Handstreich genommen. „Meine denkwürdigen Erfahrungen“ schrieb er in der „Kleinen Zeitung“ 1994, „wollten mir nicht aus dem Sinn gehen.“ 1994 war er „uneingeladen“ bei den Gedenkfeiern im Raume Caen mit dabei und erlebte, wie die Sieger von damals „in ihrem eigenen Erinnerungskult schwelgten“.

Daran wird sich auch heuer nichts ändern.

DER AUTOR

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Günter Bischof
(*1953 in Mellau) ist der Marshall-Plan-Professor für Geschichte und Direktor des Österreichzentrums an der Universität von New Orleans. Über die deutsche und österreichische Erinnerung an die Invasion 1944 hat er zusammen mit Michael S. Maier einen Beitrag für den Sammelband „D-Day in History and Memory“ (University of North Texas Press 2014) verfasst. [ Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2014)

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