Stolz und Chaos: Der erste Mitarbeiter

Der Gründer und sein Mitarbeiter: Philipp Albrecht, Chef von Happymed (re), mit seinem Mitarbeiter Lukas Stadler.
Der Gründer und sein Mitarbeiter: Philipp Albrecht, Chef von Happymed (re), mit seinem Mitarbeiter Lukas Stadler.Die Presse
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Stimmt die Auftragslage, müssen Start-ups schnell einmal die ersten Mitarbeiter einstellen. Doch Mitarbeiterführung ist nicht leicht und kann gerade im sensiblen Start-up-Bereich zu Überforderung führen.

Als es überhaupt nicht mehr ging, musste Philipp Albrecht dem Angestellten die böse Nachricht alleine überbringen. Sein Kompagnon, erzählt er, habe sich mit den Worten „Ich kann das nicht“ gedrückt. Also rief Albrecht via Skype seinen einzigen Mitarbeiter an, der – um die Situation noch unangenehmer für alle zu machen – dienstlich im Ausland war. Mit zitternder Stimme verlas er den Text, den er sich zuvor auf Papier notiert hatte: „Wir haben das Gefühl, dass du nicht hinter unserer Company stehst. Das Dienstverhältnis ist gekündigt.“

Albrechts erste Personalentscheidung endete so chaotisch wie sie begonnen hatte. Das war 2010, er war damals 21 Jahre alt. Inzwischen hat der Jungunternehmer seine Lektionen gelernt, er kann über einstige Anfängerfehler lachen. „Ich hatte es total unterschätzt, was es bedeutet, Führung zu übernehmen“, sagt er heute. Eine Firma sei eben „kein Sozialverein, in dem alle kuscheln“.

Wenn bei einem Start-up erstmals die Auftragsbücher anschwellen, tragen sich viele Gründer mit dem Gedanken, personelle Unterstützung an Bord zu holen. Um weiter wachsen zu können, oder weil das Arbeitspensum allein nicht mehr zu bewältigen ist. Ein fixer Mitarbeiter, eine fixe Mitarbeiterin könnte ihnen Zeit zum Durchschnaufen verschaffen, mühsamen Kleinkram abnehmen. Wer diesen Plan aber in die Tat umsetzt, muss nicht nur bürokratische Hürden und finanzielle Risken auf sich nehmen. Auch das Selbstverständnis vieler Kreativer als unkonventionelle Querköpfe, die auf Konventionen pfeifen, wird mit der Einstellung des ersten Mitarbeiters auf den Prüfstand gestellt. Denn dann wird aus einem Gründer ein Arbeitgeber, der Verpflichtungen für andere übernimmt.

„Viele Gründer unterschätzen es, was es heißt, bei schwankender Auslastung Verantwortung für ihre Belegschaft zu übernehmen“, sagt Susanne Kuncic, Geschäftsführerin von ÖSB Consulting, einer staatlich geförderten Beratungsagentur für Jungunternehmer. Denn Gehaltszahlungen würden unabhängig von der Auftragslage fällig, eine längere Krankheit eines Angestellten könnte für das Unternehmen existenzbedrohend werden: Dann muss das Geld trotzdem am Konto landen – auch wenn die Arbeitsleistung entfällt. Doch nicht nur die finanziellen Unwägbarkeiten des Unternehmerdaseins seien eine Herausforderung: „Es ist für viele Start-up-Manager auch nicht einfach, Verantwortung abzugeben“, sagt Kuncic. Ein Unternehmenschef müsse einerseits Aufgaben delegieren, andererseits den Mitarbeitern klare Vorgaben machen. Keine leichte Aufgabe für Idealisten. Albrecht war damit am Anfang überfordert, wie er heute offen zugibt: „Man will nicht Chef sein, ist aber doch gezwungen, diese Rolle einzunehmen.“
Als er vor Jahren mit einem Geschäftspartner eine auf Webdesign spezialisierte Internetagentur gründete, war er noch keine 20 Jahre alt. Den gebürtigen Deutschen hatte es beruflich nach Österreich verschlagen, privat suchte er Anschluss, den er in einer Studenten-WG fand. „Palast“ nannten sie die zweistöckige Wohnung, die sechs Bewohner waren befreundet: Im Kühlschrank stapelte sich Bier, in der Spüle das Geschirr. Man nahm das Leben locker.

Ab wann braucht man Mitarbeiter? Für die Arbeit hatte Albrecht ein Büro in Gehweite angemietet, seine Freizeit verbrachte er zu Hause im Freundeskreis. Als das Geschäft zu laufen begann und der Arbeitsaufwand stieg, kam er mit einem Mitbewohner, einem Informatikstudenten, ins Gespräch: „Wir haben jemanden gesucht, obwohl es eigentlich noch zu früh für einen Angestellten war“, sagt Albrecht heute. „Da hat mein Ego mitgespielt: Ich bin noch so jung und habe schon einen Angestellten.“ Man einigte sich auf eine reguläre Anstellung nach Kollektivvertrag, für 35 Wochenstunden.

Der neue Kollege, das stand für Albrecht fest, sollte in jeder Hinsicht gleichberechtigt sein: „Wir setzten auf Wirtschaftsdemokratie, auf die Mündigkeit des Individuums.“ Er sei überzeugt gewesen, dass sein Freund und Mitarbeiter genauso für das Unternehmen brennen würde wie er.

Das erwies sich als Irrtum: Der Angestellte pochte auf seine verbrieften Rechte, er verließ das Büro pünktlich zu Dienstschluss. „Er hat seinen Job eben als Job verstanden und nicht als Berufung“, sagt Albrecht. Als sich zudem Schlampigkeiten und Fehler häuften, wurde die Stimmung eisiger: nicht nur im Büro, sondern auch in den eigenen vier Wänden, wo sich die beiden auch nach Dienstschluss nicht aus dem Weg gehen konnten.
Wie führt man richtig? Er habe sich schwergetan, seinen Freund zu maßregeln, erzählt Albrecht: „Mir war damals nicht bewusst, was es bedeutet, Führung zu übernehmen. Ich wollte unangenehme Dinge nicht aussprechen.“ Als die Firma ins Trudeln kam und sein Mitarbeiter eine Gehaltserhöhung einforderte, war Feuer am Dach. Albrecht sprach nach monatelangem Zögern die Kündigung aus – mit weitreichenden Konsequenzen: An ein gemeinsames WG-Zusammenleben war nicht mehr zu denken. Ein Monat lang übernachtete Albrecht im Büro, dann räumte sein ehemaliger Angestellter und Freund von sich aus sein Zimmer in der WG. Seither haben sich die beiden nicht mehr getroffen.

Eine ähnliche Erfahrung hat Umut Kivrak (30) gemacht. Der Unternehmer hat schon zahlreiche Start-ups gegründet, als 23-Jähriger führte er sein erstes Einstellungsgespräch als zukünftiger Arbeitgeber. Sein Geschäftsmodell: eine Plattform, über die Tourismusgemeinden Elektrobikes für Urlauber ausborgen konnten. „Ich war Feuer und Flamme, aber mir fehlte das Wissen im Management“, sagt er. Sein erster Angestellter sei eine Enttäuschung gewesen: „Man weiß am Anfang nicht, worauf man bei einem Bewerbungsgespräch achten muss. Ich war froh, dass ich die Position besetzen konnte.“ Kivrak warnt davor, zu schnell jemanden einzustellen: „Die Fehlertoleranz bei einem Start-up ist gering.“ Ein schusseliger Angestellter könne für ein junges Unternehmen rasch zur Existenzbedrohung werden. Er habe rechtzeitig die Notbremse gezogen und den Mitarbeiter entlassen, erzählt Kivrak.

Drei Gespräche vor der Zusage. Inzwischen tüftelt er an einem neuen Geschäftsmodell, ein Lebensmittel-Lieferservice, der im Oktober starten soll. Yipbee heißt das Unternehmen. Schon jetzt führt Kivrak Bewerbungsgespräche. Mit hoffnungsvollen Kandidaten redet er drei Mal, ehe er zusagt: „Ich durchleuchte sie auf ihre Kompetenzen. Wenn die hard facts stimmen, dann schaue ich mir an, ob sie an unsere Vision glauben.“ Mit dieser Vorgangsweise sei er in der österreichischen Start-up-Szene eher eine Ausnahme, glaubt Kivrak: „Viele sind so verliebt in ihre Idee, dass sie sich zu sehr auf ihr Produkt konzentrieren und kein am Markt funktionierendes Geschäftsmodell bauen. Dann wissen sie oft nicht, welche Positionen sie mit wem besetzen sollen.“

Auch Albrecht hat hat sich längst aus seiner früheren Firma zurückgezogen und ein neues Unternehmen gegründet. Happymed, ein Start-up, das audiovisuelle Ablenkungen in Arztpraxen herstellt: eine Videobrille, die Patienten bei Operationen und Eingriffen mit lokaler Betäubung Ängste nehmen soll. Die ersten Prototypen sind verkauft, Anfang 2015 soll das Geschäft richtig anlaufen. Schon jetzt benötigt Albrecht Hilfe. Lukas Stadler ist einer von zwei geringfügig Beschäftigten, die Albrecht einen Tag pro Woche zur Hand gehen. „Unser Verhältnis ist kooperativ, ich habe viele Freiheiten“, sagt Stadler. Dennoch sei klar, wer das Sagen habe – auch wenn Albrecht nicht als „Chef“ angesprochen werden möchte. Wenn die Auftragslage passt, hat er Stadler eine Vollanstellung in Aussicht gestellt. Das macht Albrecht manchmal Kopfzerbrechen: „Einmal ausgesprochen, kann man ein Versprechen nicht zurücknehmen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.08.2014)

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