Der Hund in uns

Bereits seine Zeugung verläuft abenteuerlich, geradeso wie das anschließende Leben des Mischlingshundes Bertie. Warum soll es Hundekindern besser ergehen als Menschenkindern? „Unter Menschen“: Bettina Balàkas turbulenter und hoch amüsanter Roman über ein Hundeleben.

Nein, ich mag – ehrlich gesagt – keine Tierromane. Mit Zurückhaltung nehme ich Bücher wahr, in deren Mittelpunkt Rehkitze, Pandabären oder Pferde stehen. Vorbei die Zeiten, da ich mich für Lassie und Fury interessierte oder Struppi, Idefix und Pluto zu meinen Comichelden machte. Besonders skeptisch stehe ich fiktionalen Werken mit Katzen und Hunden gegenüber, die oft ins Possierlich-Rührende abgleiten – von der neuen Mode, diese Katzen und Hunde als Kommissare oder Detektive einzusetzen, ganz zu schweigen.

Gewiss, die Weltliteratur hat bleibende Prosa in dieser Untergattung hervorgebracht, Thomas Manns etwas langweilige Geschichte „Herr und Hund“ beispielsweise oder Marie von Ebner-Eschenbachs bewegende Novelle „Krambambuli“. Und ja, ich weiß auch, dass nicht alle Autoren eine Unabhängigkeit demonstrierende Katze zu Hause haben. Die Schnittmenge „Hundebesitzer/Schriftsteller“ ist gar nicht so klein – man denke an Karen Duve, Robert Gernhardt, Ernst Jandl, Loriot, Peter Rosei, Carl Zuckmayer oder Juli Zeh. Dennoch: Ich mag, wie erwähnt, keine Hunderomane – eigentlich.

Die in Salzburg geborene und in Wien lebende Bettina Balàka hat nicht im Geringsten Rücksicht auf meine Bedenken und Vorurteile genommen und kühnerweise einen Roman vorgelegt, dessen Cover einen schwarzen, offenbar in ihrem Besitz befindlichen Hund zeigt und dessen Inhalt sich in weiten Teilen um Hunde aller Sorten und Rassen dreht.

„Berti war gebürtiger Ungar“ – damit setzt „Unter Menschen“ ein und gibt seinen Protagonisten schon im ersten Satz preis. Natürlich ist Berti kein gewöhnlicher Hund. Bereits seine Zeugung verläuft unter exzeptionellen Umständen und ganz und gar nicht im Sinn seiner Besitzer. In einem unbeobachteten Moment lässt sich Bertis Mutter, Pihe, ein schneeweißer Jack-Russell-Terrier, von einer dahergelaufenen Dackel-Schnauzer-Kreuzung bespringen – mit fatalem Ergebnis für den sich anschließenden Wurf. Dessen markantestes, seine Eigner, Familie Fekete, stark verstimmendes Exemplar ist Berti, ein rabenschwarzer „Bewegungsjunkie“, für den sich schwerlich ein Abnehmer wird finden lassen.

Mit dieser aufregenden Zeugungs- und Geburtsszene beginnt die erlebnisreiche Odyssee des sympathischen Mischlingshundes. Mehrfach wird er die Grenze zwischen Österreich und Ungarn überschreiten, und mehrfach muss er ertragen, dass sich seine unterschiedlich kapriziösen Besitzer aparte Namen für ihn ausdenken – Robert Pattinson, Ricky, Zorro und Bagheera zum Beispiel. Warum, so zeigt sich rasch, soll es Hundekindern besser als Menschenkindern ergehen? Nein, einfach hat es der schwarze Wirbelwind Berti nicht. Einmal wird er auf einem Feld ausgesetzt, einmal landet er im Tierheim; ein andermal muss er die Wohnungmit Vögeln und Bergagamen teilen, und wieder ein anderes Mal stirbt sein an Diabetes leidendes Herrchen vor seinen Augen. Ständig herumgereicht wird dieser unerschütterliche Hund, ehe er – so viel sei verraten – genau denen in die Arme springen wird, die ihn am meisten verdienen.

Bettina Balàka hat einen turbulenten, blendend konstruierten, hoch amüsanten Roman geschrieben. Wie leicht ihr Dialoge gelingen, wie gut sie absonderliche Charaktere zeichnen kann und wie sie in den Kosmos der Hundebesessenen und Hundegegner einführt – das ist mehr als erfreulich und sollte als Musterexemplar all jenen ans Herz gelegt werden, die auf Teufel komm raus heitere Unterhaltungsprosa zu Papier bringen wollen.

Gewitztes Gesellschaftspanorama

Natürlich ist „Unter Menschen“ – zum Glück– kein bloßer Hunderoman, der uns die Innensicht von Vierbeinern nahebringen will. Dadurch, dass die Autorin liebevoll die Lebensumstände von Bertis wechselnden Besitzern vergegenwärtigt, enthüllt sich Schritt für Schritt ein aufschlussreiches Gesellschaftspanorama. So sehr Balàka diese Szenen mit Ironie und Witz anreichert, so raffiniert zeigt sie en passant das Bild von oft vereinsamten Menschen, die auf Tiere projizieren, was die Welt ihnen partout nicht geben will, und von Menschen, die Tierliebe ökonomisch auszuschlachten wissen.

Familie Fekete etwa hat sich darauf spezialisiert, ihre Würfe für gutes Geld auf Autobahnparkplätzen zu verkaufen – natürlich nicht im heimischen Ungarn, sondern in Österreich, wo größerer Profit zu erwarten ist. Aus langjähriger Erfahrung weiß sie, wie man fragile Menschenherzen zu rühren versteht. Wer einen Welpen an der Straße kauft, will sich als sozialer Wohltäter und Retter sehen, und dieses Bedürfnis wecken die Feketes perfekt: „Der Welpe sollte also nicht nur niedlich und billig sein, sondern auch aus düsteren Verhältnissen freigekauft werden können – daher der klapprige Passat. Als Verkäufer fungierten Vater und Sohn, die sich dafür eigens einen Dreitagebart stehen ließen und ausgebeulte Jogginganzüge anlegten. Sie gaben sich einen mürrischen Anschein und packten die Welpen hart an.“

„Unter Menschen“ ist voll von solchen gut getroffenen Episoden und führt – ohne dass Berti derartige Reisen zugemutet würden – bis nach Bali und Brasilien. Dort, an der Copacabana, erfährt das Leben des promovierten Physikers Marcel Lilienfeld seine entscheidende, schmerzhafte Zäsur. Lange bei seiner dem Irrsinn zuneigenden Mutter lebend, scheint er während eines Brasilien-Urlaubs die „Liebe seines Lebens“ gefunden zu haben.

Jacintha heißt die Strandschönheit, die ihm die Ehe verspricht und ihn – was er grausam erfahren muss – wie eine Weihnachtsgans ausnimmt, ehe sie für immer und ewig abtaucht. Von da an vertraut der Betrogene nur noch seinen „verlässlichsten Freunden“, dem Hunger und dem Durst, nimmt stetig zu, vergnügt sich auf Pornoseiten, liest im Kaffeehaus die Zeitungsschlagzeilen, um – etwa am Beispiel „Italienischer Transsexueller in Russland festgenommen“– erleichtert ausrufen zu können: „Das kann mir nicht passieren!“ Das trostlose Leben eines fettleibigen (er selbst nennt sich „stattlich“) Frühpensionisten also, bis Hunde in sein Leben treten, darunter Berti natürlich, der nun eine Zeit lang Zorro heißt.

Und wie geht diese Geschichte aus? Was wird aus unserem Hundetier? Das gilt es selbst nachzulesen. Auf jeden Fall bewahrheitet sich zumindest für Berti das – von der Autorin zitierte – Bonmot Friedrichs des Großen: „Hunde haben alle guten Eigenschaften des Menschen, ohne gleichzeitig ihre Fehler zu besitzen.“

Und dass Bettina Balàkas „Unter Menschen“ ein Unterhaltungsroman mit sehr vielen guten Eigenschaften und wenigen Fehlern (etwa bei der das Korrektorat überfordernden Silbentrennung) ist, lässt sich nicht bestreiten. Wann schon gelingt es der Gegenwartsliteratur, Skepsis und Vorurteil bei Rezensenten abzubauen? ■

Bettina Balàka

Unter Menschen

Roman. 328S., geb., €19,90 (Haymon Verlag, Innsbruck)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.08.2014)

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