Frage an Mitterlehner: Wer er ist und was die ÖVP will

Mit dem üblichen österreichischen Pragmatismus wird er zwar sich und die Regierung retten, nicht aber seine Partei.

Heinz Fischer wirkte leicht irritiert, als Hans Jörg Schelling bei der Angelobung zum Minister der üblichen Gelöbnisformel ein „So wahr mir Gott helfe“ hinzusetzte. Schnell wandte er sich der nächsten Amtshandlung zu. Was beim Landwirtschaftsminister vor einigen Monaten mit der Beschwörung des „Heiligsten Herzens Jesu“ eine lächerliche Inszenierung war, wirkte bei Schelling ganz selbstverständlich und ernsthaft. Vielleicht erklärt sich die Verstörung Fischers gerade daraus: Da kommen ein Thema und ein Ton daher, die er und andere mit dem Abgang des irgendwie unangenehmen weil „kompromisslosen“ Michael Spindelegger für erledigt hielten.

Wahrscheinlich nicht zu Unrecht vermuteten sie die Ursache für dessen hartnäckige Ablehnung vieler Wünsche seines sozialdemokratischen Regierungspartners in einer starken weltanschaulichen Fundierung. Und nun verweist ausgerechnet der Finanzminister darauf, dass sich Politik anders begründen kann, als nur in demokratischer Selbstermächtigung und dass sie Orientierungen hat, die sie sich selbst nicht gibt, und deshalb vielleicht nicht alles darf, wofür sich gerade eine Mehrheit finden lässt oder wozu man die Macht hat.

Größere „Kompromissbereitschaft“ war denn auch die erste und ist die wichtigste Erwartung des Bundeskanzlers an seinen neuen Vizekanzler und auch den Finanzminister. Mit Kompromiss ist im Verständnis Werner Faymanns natürlich gemeint, dass sich die ÖVP den „fortschrittlichen“ Positionen der SPÖ nähert oder ganz anschließt, vor allem bei deren ideologischen Lieblingsthemen Bildung und Gender in seinen verschiedenen Erscheinungsformen. Gerade bei der Steuerreform, mit der Faymann sein eigenes politisches Schicksal verbunden hat, steht ihm nun aber jemand gegenüber, der bisher nicht durch große Kompromissbereitschaft aufgefallen ist.

Überhaupt ist Schelling die eigentliche Neuheit in der österreichischen Politik. Neuling ist er keiner, aber in der absoluten Spitzenpolitik hat man noch selten jemanden wie ihn gesehen: der eine Karriere in der Wirtschaft gemacht hat, dabei vermögend geworden ist und die Politik überhaupt nicht braucht, am wenigsten zu seinem eigenen Unterhalt. Schon allein das garantiert ihm eine bisher nicht übliche Unabhängigkeit im österreichischen System. Eine alemannische Konsequenz in der Verfolgung von Zielen darf man vermuten und eine gewisse Gerissenheit in finanziellen Dingen wird er sich als Unternehmer auch zugelegt haben. Auch schreibt man den Vorarlbergern zu, sparsam zu sein. Er will möglicherweise nicht der Schelm sein, der mehr gibt, als er hat. Und zum Hergeben hat ein österreichischer Finanzminister momentan nichts.

Reinhold Mitterlehner wollte nicht in die Kombination aus Vizekanzler, Finanzminister und Parteiobmann einsteigen, die sich Spindelegger und vor diesem schon Willi Molterer und Josef Pröll aufgeladen hatten. Das dürfte richtig sein. In einem Dreieck von Kanzler, Vizekanzler und Finanzminister hat er mehr Spielraum. Es spricht für ihn, dass er sich ausgerechnet Schelling genommen hat.

Machtpolitischer Konkurrent

Er geht damit ein beträchtliches Risiko ein, denn er muss wissen, dass dieser schnell zum machtpolitischen Konkurrenten werden kann. Schelling ist es nicht gewöhnt, in der zweiten Reihe zu stehen. Mitterlehner kann nur hoffen, dass Schelling ihm gegenüber loyaler sein wird, als er selbst es gegenüber Spindelegger gewesen ist.

Der Finanzminister kann in alle anderen Ministerien hineinregieren und hat damit faktisch jene „Richtlinienkompetenz“ für seine Ministerkollegen, die die Bundesverfassung dem Kanzler vorenthält. Schellings Bemerkung, eine Steuerreform komme erst infrage, wenn man sie sich leisten könne, klingt (für die SPÖ und den ÖAAB verdächtig) nach Spindelegger und dürfte manche vorschnelle Hoffnung auch in der eigenen Partei empfindlich dämpfen. Das könnte schon ein erstes Exempel dafür sein, den Finanzminister etwas sagen zu lassen, was der Vizekanzler so nicht sagen will.

Die Gelegenheit zu einem größeren Revirement in der ÖVP-Regierungsmannschaft hat Mitterlehner versäumt. Er hätte gleich auch den peinlichen Andrä Rupprechter und die politisch orientierungslose Sophie Karmasin loswerden können, denn an geeigneten Kandidaten für Ministerposten mangelt es der ÖVP nicht. Es ist erstaunlich, welche Reserven an Führungspersonal die Volkspartei immer noch hat und in der Generation der Dreißig- bis Vierzigjährigen ist schon die nächste Garnitur herangewachsen. Die SPÖ dagegen muss einige wenige Leute zwischen den verfügbaren Posten hin- und herschieben. Sonst hätte nicht ein Alois Stöger Infrastrukturminister werden können.

Das Schicksal Mitterlehners und der ÖVP mit ihm wird sich nicht daran entscheiden, wie gut er sich gegen den Koalitionspartner behauptet und seine eigene Partei in den Griff bekommt, und auch nicht an der Steuerreform – so wichtig das alles auch momentan erscheinen mag. Mitterlehner muss eine Antwort auf jene Frage geben, die ihm in einem ersten Interview von der „Kleinen Zeitung“ gestellt worden ist: „Wofür steht die ÖVP?“

Er hat sie mit einem gequälten Sprachkonstrukt beantwortet, das nur er so zusammenbringt: „Wir müssen es schaffen, das grundsätzlich an Wertvorstellungen Ausgerichtete mit dem kurzfristig Notwendigen zu verbinden.“ Das hätte auch Faymann so sagen können, es wäre bei ihm vielleicht etwas geschmeidiger ausgefallen. Derlei Pragmatismus ist der Normalzustand der österreichischen Politik.

Mitterlehner hat sich den Chefideologen der Partei als Staatssekretär ins eigene Ministerium geholt. Dem ist bisher aber wenig mehr eingefallen als die verbrauchte Formel von der ÖVP als der Partei der Mitte. Aber die Frage muss ohnehin der Parteiobmann selbst beantworten – täglich.

Spindelegger ist es nicht gelungen, zu erklären, worin sich die ÖVP substanziell von dem vermeintlich zwingenden und in den Medien allgegenwärtigen linken Mainstream unterscheidet und dieses Gegenprogramm mit seiner Person zu verbinden. Dazu fehlte es ihm an konzeptioneller Begabung und politisch-symbolischer Darstellungskraft. Am Schluss konnte er sich nur noch eine traurige Obstinatheit retten und wurde zu einer tragischen Gestalt.

Vorbild Angela Merkel

Was so die Vorstellung einer gefälligen und medientauglichen ÖVP ist, hat die Chefredakteurin des „Standard“ in dankenswerter Offenheit ausgesprochen: Die ÖVP müsse – natürlich – „liberaler“ werden, womit freilich nicht liberale Wirtschaftspolitik gemeint ist, sondern wohl Gesellschaftspolitik. Sie solle sich ein Vorbild an Angela Merkel nehmen, die ihrer Partei teilweise sozialdemokratische Positionen „verpasst“ habe. Damit würde sie sich „neue Wählerschichten erschließen“.

Das Problem der ÖVP ist aber nicht, dass sie keine neuen Wähler gewinnt, sondern dass ihr die angestammten davongelaufen sind, weil sie sich von ihrer Partei in zentralen politischen Vorstellungen – von der Wirtschafts- bis zur Gesellschaftspolitik – verlassen fühlen.

DER AUTOR

Hans Winkler war langjähriger
Leiter der Wiener Redaktion der
„Kleinen Zeitung“.

Debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2014)

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