Das große Restlessen beim Bundesheer

Desinteresse am Zustand der Armee ist eine Konstante in der österreichischen Geschichte. Doch geht es diesmal um mehr als Polemik und alte Klagelieder. Das Gewaltmonopol des Staates steht auf der Kippe.

Von allen SOS-Funksprüchen zur tristen Lage des österreichischen Bundesheeres, die Kommandanten vermehrt in Interviews absetzen, ist wohl jener über den Treibstoffmangel einer der brisantesten. Ein Heer, das nicht mehr mobil ist, wird zum Paradoxon.

Daher rufen Juristen wie auch ein Vertreter der Volksanwaltschaft dazu auf zu prüfen, ob eine Verletzung der Bundesverfassung vorliegt. Denn eine solche Aushöhlung der Schutzfunktion des Heeres, wie durch Wegfall eines ganzen Jahresbudgets, bewegt sich an der Grenze zum Verfassungsbruch.

Dass Bürgermeister Pioniere in eigens angemieteten Bussen für einen Katastropheneinsatz abholen müssen, weil die Armee über keine Transportfahrzeuge mehr verfügt, spricht Bände. Gummistiefel und Einsatzgeräte stellen teils Gemeinden zur Verfügung, um Engpässen bei banaler Ausrüstung zuvorzukommen. Was man in den vergangenen Jahren da und dort als Lamento zu hören bekam, wird nun als ernste Warnung von Offizieren laut kundgetan.

Illusion vom ewigen Frieden

Benzinmangel nannten Soldaten der ungarischen Armee einst als einen der Gründe dafür, dass die östliche Seite des Eisernen Vorhangs nicht mehr patrouilliert werden konnte. So bröckelte das System, was im Fall des Ostblocks zu einem erfreulichen Ende führte, ohne dass ein Schuss fiel.

Infolge des totalen Beschaffungsstopps und eines völlig überalterten Fuhrparks wäre wohl ein Assistenzeinsatz wie 1991 an den Grenzen Österreichs – Kern aller Landesverteidigung – heute gar nicht mehr möglich. Die Politik verteilt indes Placebos und behauptet, dass im Ernstfall sehr wohl Kapazitäten zur Verfügung stünden – ob dies nun ein Hochwasser oder ein Konflikt sei. Bloß müssen Fahrzeuge gekauft und gewartet werden, und die „Pickerl“-Überprüfung von Hubschraubern kostet einige Millionen Euro. Ebenso müssen Soldaten an Übungen und Fortbildungen teilnehmen, damit sie im Fall der Fälle gerüstet sind.

Viel zu lange und den Balkankriegen der 1990er-Jahre zum Trotz gab man sich der Illusion hin, dass uns eine friedvolle Zukunft von Wohlstand und Völkerfreundschaft in einem vereinigten Europa erwartet. Doch die Wirklichkeit ist eine andere.

Der Nahe Osten ist uns in Europa nun einmal verdammt nahe. Hinzu tritt der Konflikt in der Ukraine, der zu Flüchtlingsströmen nicht nur Richtung Russland, sondern auch westwärts führen kann.

Wer, wenn nicht das Heer, kann dann Containerstädte und Latrinen binnen einiger Tage und Nächte bauen? Auch ein massives Blackout im ohnehin überlasteten Stromnetz würde letztlich ein funktionierendes Heer erforderlich machen, um Plünderungen und Gewalt zu unterbinden.

Warten auf ein Mirakel

Falls die Katalanen ihr Referendum über eine Abspaltung von Spanien am 9. November abhalten, drohten bereits vor Monaten konservative Politiker in Madrid damit, die Armee nach Barcelona zu entsenden. Neue alte Staaten entstehen nicht bloß auf dem Balkan. Bloß setzt sich mit diesen geopolitischen Herausforderungen niemand in Brüssel auseinander, lieber zählt man Erbsen.

Ob auf europäischer oder nationaler Ebene, es fehlt der Blick für düstere Szenarien, mit der sich aber verantwortliche Politiker auseinandersetzen müssen. Der frühere deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher erklärt den Unterschied zwischen einem Politiker und einem Staatsmann damit, dass ein Staatsmann Entscheidungen trifft, für die er riskiert, nicht mehr wiedergewählt zu werden. An solchen politischen Persönlichkeiten mit Rückgrat herrscht heute massiver Mangel.

In Österreich warteten die Entscheidungsträger stets auf Mirakel. So verharrte ein Kaiser Leopold I. angesichts der Kriege mit dem Osmanischen Reich im Gebet. Als ein gewisser Prinz Eugen im Sommer 1683 bei ihm vorsprach, um sich als Freiwilliger zu melden, ahnte der Kaiser nichts von seinem Retter. Eugen erhielt bald ein Regiment, bloß fehlte es an allem.

Wien vergisst Soldaten gern

Der Prinz ohne Vermögen lieh sich Geld bei reichen Verwandten in Turin und stattete seine Soldaten mit Schuhen, Uniformen und Munition aus. Er sorgte für Hafer und Heu, den damaligen Treibstoff. Der Kaiserhof ging indes lieber in die Oper.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es in Wien offenbar eine lange Tradition hat, auf die Soldaten zu vergessen. Bloß taucht heute kein Sponsor vom Schlage eines Prinz Eugen auf, der die Armee sowie die gesamte Verwaltung auf neue Grundlagen stellt. Ihm wird auch das Zitat zugeschrieben: „Für den Krieg braucht man drei Dinge: Geld, Geld und nochmals Geld.“ 300 Jahre später geht es nicht um Eroberungen, aber sehr wohl um die Grundsicherung der Truppe, während ein bürokratischer Überbau seinerseits viel Geld verschlingt. Die Stimmung im Bundesheer ist nicht nur wegen des Geldmangels im Keller, sondern auch, weil Führungspersönlichkeiten fehlen. So mancher aufrechte Kommandant oder tüchtige Organisator in der Verwaltung fiel der Parteipolitik zum Opfer und ging ins innere Exil in einer abgelegenen Amtsstube.

Welcher Verteidigungsminister der vergangenen Jahrzehnte stand denn voll und ganz hinter der Truppe? So mancher Feuerwehr- Kommandant sorgt für mehr Zusammenhalt seiner Leute. Reformiert wird schon eine Weile so intensiv, dass man mit einem Organigramm wechselnde Zuständigkeiten erkunden muss.

Das Geld fließt in die Polizei

Aber an die heiklen Fragen, wie Mobilität im öffentlichen Dienst, Ende des Beamtenrechts oder Beschaffungswesen traut sich keiner. Der Rechnungshof hat nützliche Ratschläge erteilt. Dass der Ankauf der Eurofighter mit den Korruptionsvorwürfen zum neuen Debakel wird, fällt der Budgetabteilung fast als höhere Gewalt auf den Kopf. Doch auch hier hätten Transparenz und weniger Profilierungssucht einiger Personen geholfen, die Betriebskosten für die Zukunft zu errechnen.

Das Gewaltmonopol des Staates – sprich die Durchsetzung von Recht und Ordnung durch staatlich kontrollierte Organe wie Heer und Polizei – ist neben der Gewaltentrennung ein Grundpfeiler des Rechtsstaats. Während Budgets für Polizeikräfte vielerorts anwachsen, werden die Militärs ausgedünnt. Doch riskiert man mit einer Übertragung von Aufgaben und Material des Heeres an die Polizei Entwicklungen, wie sie in den USA – siehe die Unruhen von Ferguson – oder in vielen autokratischen Staaten bereits Realität sind.

Kompetenzen sind klar zu regeln. Jeder soll das leisten, wozu Ausbildung und Gesetze ihn befähigen. Dass die Armee mit einer Art Restlessen abgespeist wird, ist der falsche Weg. Und Benzinknappheit kann fatal enden. Davon wusste so mancher General – ob Rommel 1942 in Nordafrika oder Dayan in Israel 1973 – ein Lied zu singen. Vielleicht schreitet ja der Bundespräsident als Oberbefehlshaber in Sachen Benzinmangel ein. Die Details kennt er ja. . .

E-Mails an:  debatte@diepresse.com

DIE AUTORIN



Karin Kneissl
(* 1965 in Wien) studierte Jus und Arabistik in Wien. 1990 bis 1998 im diplomatischen Dienst, danach Lehrtätigkeit. Als Gastlektorin unterrichtet sie auch an der Militärakademie in Wiener Neustadt sowie an der Landesverteidigungsakademie in Wien. Ihr nächstes Buch widmet sich Prinz Eugen und erscheint im Herbst. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2014)

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