Kritik an Israel und Antisemitismus

Selbst eine unangebrachte Verurteilung Israels stößt hierzulande immer wieder auf übermäßig positive Resonanz.

Wenn man sich heutzutage mit dem Gaza-Konflikt auseinandersetzt, ohne einer einseitigen Schuldzuweisung anheimzufallen, erfordert das nicht wenig Courage. Sehr rasch wird man zum Opfer von Trollen beider Seiten und muss sich mit einer Flut untergriffiger Blogkommentare auseinandersetzen.

Der bekannte Soziologe Ulrich Beck hat Anfang August in einer deutschen Tageszeitung über die Globalisierung des jüngsten Krieges in Gaza geschrieben. Für ihn sind die antisemitischen Ausschreitungen in Europa ein Indiz dafür, dass sich bewaffnete Konflikte nicht mehr regional begrenzen lassen.

Diese Feststellung hat wenig neuen Erkenntniswert. Interessanter wäre vielleicht eine Antwort auf die Frage, warum bei einer Beurteilung des Konflikts in Europa eine ähnliche Unversöhnlichkeit der Positionen vorzuherrschen scheint, wie sie in den Ländern der Kriegsparteien vorzufinden ist. Warum kann man angesichts der Komplexität des Nahostkonflikts vor einer klaren Stellungnahme nicht einfach zurückschrecken?

Dafür gibt es mehrere Gründe. Zwei davon werden im Folgenden angesprochen.
Verbreiteter latenter Antisemitismus: Es ist bekannt, dass Kritik an Israel häufig vorgeschoben wird, um Antisemitismus zu artikulieren. Gleichzeitig wird aber auch eine legitime Kritik an Israel oft vorschnell als antisemitisch denunziert. Die Behauptung, dass es zwischen beiden eine klare Trennlinie gebe, lässt sich leider nicht aufrechterhalten.

Kaum differenzierte Kritik

Ein wesentlicher Grund dafür liegt darin, dass Kritik an Israel immer in einem konkreten sozialen Umfeld artikuliert wird. In Österreich ist dieses durch einen latenten Antisemitismus geprägt. Das bedeutet, dass eine Verurteilung Israels immer auf eine übermäßig positive Resonanz stößt, wie unangebracht sie auch sein mag. Deswegen hört man hierzulande differenzierte Kritik an Israel meist nur hinter vorgehaltener Hand. Sie ist nicht Teil des öffentlichen Diskurses – aus Furcht, dass damit dumpfe Gesinnungen gestärkt würden. Nur über die subtile Bedienung von Codes werden tatsächliche Einstellungen offenbart.

Aufgeladener Diskurs

Politisierung von Antisemitismus: Nicht nur der Diskurs über Israel ist stark politisiert und ideologisch aufgeladen, sondern bis zu einem gewissen Grad auch die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus. Eine der Ursachen liegt darin, dass es der Forschung bisher nicht gelungen ist, der Öffentlichkeit Parameter zu vermitteln, an denen der antisemitische Gehalt bestimmter Ansichten abgelesen werden kann.

Dieses Versäumnis der Antisemitismus-Forschung ist nicht zuletzt auf eigene wissenschaftliche Unzulänglichkeiten zurückzuführen. Sie ist durch einen erschreckenden Mangel an theoretischen Ansätzen und methodischer Innovation gekennzeichnet. Nicht zuletzt deswegen findet sie auf neue gesellschaftliche Herausforderungen, wie beispielsweise die Judaeophobie der muslimischen Bevölkerung, keine Antwort. An bisweilen zu Dogmen erstarrten Deutungen und Erklärungen von Antisemitismus darf – zuweilen auch aus Gründen der politischen Korrektheit – nicht gerüttelt werden.

Wie Kritik an Israel formulieren, um nicht als antisemitisch zu gelten, und wie mit Antisemitismus umgehen? Zu diesen Fragen gibt es bisweilen nur akademisch vorgefertigte Antworten, die an der gesellschaftlichen Wirklichkeit zerbrechen. Deswegen kann es auch nicht wirklich erstaunen, dass während des jüngsten Gaza-Krieges ein unfassbarer Antisemitismus zum Vorschein kam.

Univ.-Doz. Dr. Klaus Hödl (*1963 in Radkersburg) ist Historiker und Mitbegründer des Centrums für Jüdische Studien an der Universität Graz.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2014)

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