Gedichte von bleischwerer Bürde und von einem Teppich aus Luft

Vor Kurzem erschien eine wunderbare Auswahl von Gedichten und Prosatexten aus der Werkstatt des lyrischen Poeten Hans Raimund.

„Auf einem Teppich aus Luft“. Unter diesem Titel erschien vor Kurzem eine Auswahl von Gedichten und wenigen Prosatexten aus der Werkstatt des lyrischen Poeten Hans Raimund, des – wie Karl Markus Gauß schreibt – „Musikers unter den österreichischen Lyrikern unserer Zeit. Raimund hat ja nicht nur Germanistik und Anglistik, sondern auch Klavier studiert und zudem in Komposition, Tonsatz, Dirigieren diplomiert.“

Dieser in der Edition Lex Liszt erschienene Band ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Zum einen, weil die Gedichte und Texte sowohl auf Deutsch als auch in kongenialer englischer Übersetzung synoptisch gelesen werden können. Zum anderen, weil die Breite der Themen überwältigt: Allein geografisch spannen sie sich von den Innenhöfen in der Vorstadt Wiens über das bei Lockenhaus gelegene dörfliche Hochstraß bis nach Venedig, nach Bogliasco, nach Lissabon – doch geht es um eine delphische Geografie, die sich nur dem erschließt, der den „langen geduldigen Blick“ wagt.

Hans Raimund ist, wie er schreibt, ein widerwilliger, ein miserabler Reisender; reisend unterwegs sein ist für ihn ein Ausnahmezustand, also ziemlich unerträglich: „Wie Lissabon ... wie London, Ljubljana wie Lofoten ..., wie Lhasa Linz wie Lockenhaus ..., ein Ort wie eben alle Orte.“ Seine Anlage zum rastlosen Umherziehen, zum „Úmfahren“, wie seine Mutter im hohen Alter so gerne sagte, wurde Raimund durch die rigide Erziehung in einer kleinbürgerlichen Familie in Wien nach 1945 fast völlig verschüttet.

Die Aura des Vaters, eines bis zu seinem Tode unverbesserlich der Hitlerei Ergebenen, der schon aus Prinzip nie und nimmer in die Länder südlich von Österreich zu fahren gewillt war, lässt sich aus vielen der Gedichte erspüren. Expressis verbis wenn Raimund schildert, wie der Vater in seinen Hof hinabstieg, „in der HeimKehrerKluft“, und der kleine Bub sich aus Furcht „in der WaschKüche verschloff“.

Erst in der Begegnung mit einzigartigen Lehrern, in der Flucht zur Musik und zur Literatur, die ihn von der kalten, engen, bedrückenden Welt des Vaters erlösten, gelang ihm die Befreiung, die Erfüllung seines Traums, „irgendwo im Süden zu leben, nicht so weit weg vom Meer, unter einem immer blauen Himmel, unter einer immer wärmenden Sonne, wie einfach alles dann wäre, woanders ...“.

Fast genau im Zentrum des Buches findet sich eines der wuchtigsten Gedichte Raimunds, in denen die bleischwere Bürde der von seinem Vater verherrlichten Vergangenheit jedem, der diese Zeilen liest, den Atem raubt. Schon allein das unübersetzbare Motto „Der Hitler is mei Himmivata!“, stammend von der einst außerordentlich beliebten Volksschauspielerin Anni Rosar, schnürt den Hals zusammen.

Dann setzt in einem wilden Staccato eine furiose Abrechnung mit all dem ein, was dem dunklen Vater so hell und heilig schien. Nicht umsonst wird dieses Gedicht mit dem Titel „Erbe“ überschrieben, was im englischen „Inheritance“ fast noch besser zum Ausdruck kommt: Das lateinische „inhaerere“ bedeutet haften, hängen bleiben – man wird es einfach nicht los.

Wie kann man sich von einem Erbe lösen, wenn man dieses nicht zu übernehmen gewillt ist, weil es Schreckliches in sich birgt? Hans Raimund gelingt es in einer selten so überzeugenden Weise, indem er, der „Musiker unter den österreichischen Lyrikern“, einen Kontrapunkt setzt: Am Schluss des Buchs in den Improvisationen „Er tanzt“, ins Englische übertragen als „Elis Dances“ in Erinnerung an den geheimnisvollen Elis in Georg Trakls hintergründigem Poem, die Hans Raimund für E.R. und F.R. schrieb. Und in dem Gedichtzyklus „Choral Variationen“, worin er, im Andenken an den Lehrer und Kollegen Norbert Rupp, die Form des Choralvorspiels des Johann Sebastian Bach in die sprachliche Struktur von Versen verwandelt. Bach und Trakl, nihilne plus? Nihil omnino.

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Zum Autor:

Rudolf Taschner
ist Mathematiker und Betreiber des math.space im
quartier 21, Museumsquartier Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.10.2014)

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