65.000 Deutsche fiebern, fürchten, feiern in Wien

(c) Gepa (Wolfgang Jannach)
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Eine deutsche Szene gibt es in Wien nicht. Normalerweise sind sie in kleinen Gruppen unterwegs.

Wien.Es ist ja bekanntlich nicht gerade so, dass die deutsche Ess- und Trinkkultur ein großer Exportschlager wäre. Wer in Wien nach Spezialitäten wie roter Grütze, Hamburger Labskaus, Curry- oder Weißwürsten sucht, wird – von dem einen oder anderen exotischen Würstelstand abgesehen – kaum fündig werden.

Dementsprechend fehlen der hiesigen deutschen Community markante, eindeutig zuordenbare Treffpunkte. „Normalerweise kommen wir im Charlie P's oder in der Strandbar Herrmann zusammen“, erzählt Katharina Stadler, Exildeutsche und Medizinstudentin in Wien. Die genannten Lokale sind aber während der EM besetzt: Von österreichischen und Schweizer Fans nämlich. Bleibt also nur noch die Flucht in national neutrale Lokale, etwa die Stiegl-Ambulanz am Uni-Campus im Alten AKH, in eines der Studentenlokale am Gürtel, etwa das All In, oder im siebten und achten Bezirk.

„Die Deutschen gehen zwischen den besser vernetzten Communities ein bisschen unter, sie zerstreuen sich mehr“, meint Sebastian Sittner, der aus Bayern nach Wien gezogen ist, um Publizistik zu studieren. Viele schwarz-rot-goldene Fans, die in die Stadt kommen, würden die Spiele daher eher in der Fanzone oder – ganz privat – bei Freunden verfolgen, die hier eine Wohnung haben. „Dadurch zerstreut sich die Masse unserer Fans in kleine Grüppchen.“

Deutsche Fans in Österreich, das sind gar nicht wenige: Laut Statistik Austria stellen rund 25.000 Deutsche hinter Serben und Türken ex aequo mit den Polen die drittgrößte Ausländergruppe in Wien, in ganz Österreich halten sich derzeit über 207.000 ihrer Landsleute auf.

Sie alle leiden unter den Spannungen zwischen ihrem Heimat- und Gastgeberland: „Österreich und Deutschland, das ist ein bisschen wie Bayern gegen 1860 München“, findet etwa Anna Berghoff, die ebenfalls nach Wien gekommen ist, um zur „quotendeutschen“ Medizinstudentin zu werden: „Die Österreicher sind generell gegen uns, manchmal habe ich den Eindruck, dass sie hinter unserem Rücken ,Piefke‘ zu uns sagen.“ Aus diesem Grund veranstaltet sie mit ihren „Kommilitonen“ ein privates EM-Schauen in ihrer Wiener WG.

„Die Euro wird sicher zur Verständigung unserer Länder beitragen“, hofft Publizistik-Student Sittner. Er drückt natürlich, wie auch Berghoff, die Daumen für einen Sieg der deutschen Nationalelf: „Der Funke der Weltmeisterschaft 2006, die Begeisterung ist nahtlos übergesprungen“, daher stünden die Chancen gut, glauben beide.

Es geht um die (Weiß-)Wurst

Wenn es heute Abend beim letzten Gruppenspiel gegen Österreich um die (Weiß-)Wurst geht, bekommen die permanent in Wien ansässigen Deutschen Verstärkung: 40.000 zusätzliche Fans werden ihre Zahl in Wien fast verdreifachen, schätzt die Polizei – sie werden, so hofft man, das Spiel großteils in der Fanzone am Ring verfolgen. Bereits seit Freitag hat das Verkehrsamt einen verstärkten Anreiseverkehr registriert, weil viele Fans das Wochenende in der Stadt verbringen wollten. Und allein rund 1000 deutsche Fans buchten in der Nacht auf Montag im Fancamp im Messegelände ein.

LOKALE FÜR DEUTSCHE

Stiegl Ambulanz, Alserstraße 4 (Altes AKH, Hof 1), 1090 Wien

Charlie P's, Währinger Straße 3, 1090 Wien

All In, U-Bahnbogen 90–91, 1090 Wien

Strandbar Herrmann, Donaukanal, 1030 Wien

Fanzone, Dr. Karl-Renner-Ring, Rathausplatz, 1010 Wien

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2008)

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