Wenn das Licht ausgeht

Gemütlich sind sie ja, die Klagenfurter Cafés. Hier fühlt man sich noch richtig zu Hause. Auch als mutmaßlicher Kriegsverbrecher. Der Fall des Milivoj Asner ist kein Einzelfall.

Klagenfurter Caféshaben Atmosphäre. Hier fühlt man sich besonders beheimatet, deshalb ist dieser Tage auch Herr Milivoj Asner, mutmaßlicher Kriegsverbrecher in Ruhe, bei Kaffee und Kuchen anzutreffen. Er ist sicher unter Freunden. Der Landeshauptmann begrüßt ihn als friedlichen Bürger der Stadt. An die kroatische Justiz wird der ehemalige Chef der Ustascha-Polizei in Pozega aufgrund psychiatrischer Gutachten nicht ausgeliefert. 2005 sah das vordergründig noch anders aus, da sichtete die österreichische Staatsanwaltschaft Deportationslisten und Befehle. Anklage solle noch in diesem Jahr erhoben werden, stellte der Sprecher des Justizministeriums damals in Aussicht. Allerdings, schränkte er ein, hänge dies auch von der Verjährungsfrist ab und ob Asner direkten Tötungsbefehl gegeben habe. Dann kam das Aus der Anstrengungen der Justiz durch die aktenkundige Demenz Asners. So weit ein von anderen Prozessen bekannter Vorgang. Doch nun, nach einem agilen Interview in der „Sun“ im vergangenen Juni, muss die österreichische Justiz neue Ermittlungen veranlassen. Man tue, was man könne, aber die Hände seien gebunden, und ein Gutachten sei eine Vorgabe in einem Rechtsstaat, das Verfahren laufe. Der Fall ist kein Zufall. Wie unbelehrbare NS-Täter davonkommen, ist ein bekanntes Lehrstück österreichischer Zeitgeschichte.


Der Schauplatz:ein Klagenfurter Café, Dreißigerjahre. Ernst Kaltenbrunner und Odilo Globocnik sitzen an einem Tisch. Ernst Lerch, illegaler Führer des Kärntner Sicherheitsdienstes der SS und Sohn des Kaffeehausbesitzers, bringt frischen Apfelstrudel. Die jungen Männer planen, schwimmen zu gehen, ein Parteigenosse hat eine Badehütte. Doch als es zu regnen beginnt, ändern sie ihre Pläne, gehen in ein Lichtspieltheater und sehen den Film „Die Wüstensöhne“ mit Laurel und Hardy. Danach kehren sie gut gelaunt auf ein Glas Wein in das Café Lerch zurück. Ein Treffpunkt der Illegalen, kein Geheimnis in der Landeshauptstadt.


Die Schauplätze: Lublin und Triest, Vierzigerjahre. Odilo Globocnik, mittlerweile SS- und Polizeiführer in Lublin, holt seine Leute zur Durchführung der „Aktion Reinhard“ in das Generalgouvernement Polen. Auch Ernst Lerch ist dabei. Er leitet Globocniks Büro und ist für „jüdische Angelegenheiten“ zuständig. Der junge Cafétier organisiert die Transporte in Vernichtungslager und koordiniert die „Bandenbekämpfung“. 1943 zieht die Mordtruppe in den Partisanenkrieg der „Operationszone Adriatisches Küstenland“, sie verübt auch dort Massaker und errichtet das Konzentrationslager „Risiera di San Sabba“ bei Triest. Ernst Lerch ist ganz bei der Sache. Stolz berichtet er über von ihm angeordnete Geiselerschießungen, das gehört zu seinen Kernaufgaben, bereits im polnischen Wald bei Krepiec fielen seinen Anordnungen 1000 Menschen zum Opfer. Der Kriegsdienst ist hart für Globocniks Männer, Zusammenhalt ist alles. Nach langen Bluttagen sitzen sie abends beisammen, trinken und plaudern. Und wenn es spät wird, singen sie Kärntner Lieder.

Der Schauplatz: ein Klagenfurter Café,Fünfzigerjahre. Ernst Lerch hat Ärger mit der Tonanlage seines Tanzcafés. Ein Techniker steht auf einer Leiter. Wackelkontakt, sagt er. Das Telefon hinter der Theke läutet, und Lerch hebt ab. Schweigend nimmt er den Anruf entgegen. Es ist ein Freund von früher. Wieder ist sein Name in einem deutschen Prozess zur „Aktion Reinhard“ gefallen. In Österreich wurde er nach dem Verbotsgesetz nur wegen seiner illegalen Tätigkeiten verurteilt. Nun soll er vor einer deutschen Sonderkommission aussagen. Es knistert, und das Licht geht aus. Kurzschluss, ruft der Techniker und flucht. Ich habe mich stets bemüht, nichts zu sehen und nichts zu hören. Ich habe im Wesentlichen nicht mitgearbeitet, wird Ernst Lerch später aussagen. Noch immer hält die Staatsanwaltschaft Wien sein strafbares Verhalten nicht für einwandfrei beweisbar.


Der Schauplatz: Landesgericht Klagenfurt,
Siebzigerjahre. Der Angeklagte Ernst Lerch ist ungehalten. Die Verlesung des Staatsanwalts dauert nun schon mehr als eine Stunde. Mehr als zehn Jahre vernahmen die Behörden in Österreich und Deutschland Ernst Lerch und andere „Lubliner“, aber die Verfahren stockten aufgrund des monströsen Tatkomplexes und der Gemächlichkeit der Justiz. Schließlich wurde Lerch 1971 wegen „entfernter Beihilfe“ zum Mord angeklagt. Innerhalb kurzer Zeit stellte man das Verfahren jedoch wegen Verjährung des Delikts ein. Doch wenige Wochen danach tauchten Beweise auf, der Klagenfurter solle an einer individuellen Tat beteiligt gewesen sein. Nun gerät die Staatsanwaltschaft unter Zugzwang, und im September 1971 wird der Cafétier überraschend verhaftet. Man bemüht sich, den Fall nach Wien zu bringen, da Klagenfurt kein gutes Pflaster für NS-Prozesse zu sein scheint. Doch der Oberste Gerichtshof entscheidet anders. Der Prozess wird in Klagenfurt stattfinden. Und prompt ist Lerch bereits im Jänner 1972 auf freiem Fuß.

Im Mai beginnt der Prozess, der Staatsanwalt kann den Tathergang genau schildern. Eine Einzeltat, aber gut dokumentiert. Wieder ist die Dimension seiner Beteiligung am Massenmord nicht Gegenstand der Anklage. Die Zeugenaussagen stammen von SS-Angehörigen, jüdische Zeugen gibt es keine. Elf Zeugen sind geladen, vier kommen. Lerch beteuert, verwechselt worden zu sein. Da erkrankt ein Hauptzeuge, der Prozess wird nach zwei Tagen unterbrochen und auf unbestimmte Zeit vertagt. Ernst Lerch kann das Gericht verlassen, die Meldepflicht erlischt. Noch in diesem Jahr fährt er an die Adria auf Urlaub.


Der Schauplatz: Klagenfurt,
Fußgängerzone, Neunzigerjahre. Ein Pensionist sitzt auf einer Bank und blinzelt in die Sonne, Schulkinder laufen an ihm vorbei. Drei Jahre nach der Vertagung geschah nichts weiter. Jedoch mit Jänner 1975 veränderte sich das Recht in Österreich. Das Personalitätsprinzip der Rechtsprechung, nämlich dass ein Österreicher unabhängig von der Rechtslage des Landes, wo ein Verbrechen begangen wurde, zu bestrafen ist, verwandelte sich in das Territorialitätsprinzip. Demnach hat eine Strafe in Österreich nicht ungünstiger zu sein als nach dem Gesetz des Tatorts. Nach altem polnischem Strafrecht verjährt Mord nach 25 Jahren. Ernst Lerch entkam wieder. Doch die Strafrechtsreform Brodas brachte auch mit sich, dass Lerch nun doch wegen entfernter Mitschuld und dem Tatbestand des Völkermordes angeklagt werden könnte. Diese Verjährung wurde nämlich mittlerweile aufgehoben. Endlich könnte der Judenreferent von Lublin bestraft werden. Doch das Verfahren wurde 1976 ohne Information der Öffentlichkeit eingestellt. Bezüglich der Taten in Triest ermittelte die Staatsanwaltschaft Klagenfurt bis 1979. Es gab Dokumente, Zeugenaussagen und Prozesse in Italien und Deutschland. Dort wurden einige der Mordgehilfen Globocniks zu Haftstrafen verurteilt. Es ist kurz vor zwölf. Der Pensionist erhebt sich, schlendert durch die Wiener Straße und grüßt Passanten.


Nachtrag.
Der Schauplatz: Klagenfurt 2008. Eine APA-Meldung. Scharf zurückgewiesen hat das Landesgericht Klagenfurt Vorwürfe, wonach die österreichische Justiz im Falle des in seiner Heimat wegen Nazi-Kriegsverbrechen gesuchten Kroaten Milivoj Asner nachlässig agiere. Es gäbe eben Gutachten über Asners Zustand, Österreich sei schließlich ein Rechtsstaat und nicht Guantánamo. Im Übrigen sei keiner der Gutachter Kärntner. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2008)

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