37 Iran

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Quer durch Shiraz, auf der Jagd nach Memorychips. Yhdeksän Megabyte?

Die finnische Kollegin und ich suchen in Shiraz nach dem Pendant eines Hartlauer: Die Memorychips unserer Digitalkameras sind voll. Aber wo findet man Elektronik? Jemand sagt uns, „im Westen der Stadt“.

Wir gehen eine Geschäftsstraße 30 Minuten lang in westlicher und extrem vielversprechender Richtung. Dabei nütze ich die Gelegenheit und zähle („yksi, kaksi, kolme, neljä, viisi, kuusi“), Interrail-Veteranenwissen auffrischend, die finnischen Zahlen von 1 bis 6 vor mir her. Die finnischen Zahlen bis 6 sind gerade noch lernbar, ab 7 werden sie kriminell. „Sind wir noch richtig?“, unterbricht die Kollegin mein Gezähle. Keine Spur von einem persischen Hartlauer. Ich vertiefe mich in den Stadtplan und muss den Irrtum zugeben: Wir sind nach Osten unterwegs.

„Look“, ruft die finnische Kollegin, und tatsächlich: ein Elektronikladen! Beim Anblick unserer Kameras runzelt der Verkäufer zwar die Stirn. Doch im Iran sind alle freundlich, bemühen sich und kennen immer Auswege: „Let‘s look for Ali and Reza“. Fünf Minuten danach kommen sie. Ali humpelt und trägt Brille, Reza einen Rollkragenpullover. Ali ist Geschäftsmann, hat in Dubai gelebt; Reza übersetzt Bücher aus dem Englischen. Wir präsentieren unsere Kamera-Chips und schämen uns wegen unserer oberflächlichen Begierden. Reza fragt, woher wir denn sind.

„Otrish!“, rufe ich voreilig. „Fanlond“, ruft die Finnin. Ich ergänze unnötigerweise, dass wir vom österreichisch-iranischen Kulturforum „X-Change“ eingeladen wurden. „Ah, want Exchange?“, fragt der Verkäufer. Nein nein, beruhigen ihn Ali und Reza. „No, no, culture“, werfe ich ein. Alle lachen. Ein Shopping-Center am anderen Ende von Shiraz, meint Ali, verkaufe Memorychips. Ob sie uns mit dem Auto hinbringen sollten?

Gleich darauf sitzen wir im Wagen. Es herrscht diese angenehme, unangestrengte Stimmung, die unreligiöse orientalische Menschen oft verbreiten. Reza erzählt von seinen Übersetzungen, vom Kampf mit der Mullah-Zensurbehörde, die bei Sätzen wie „Er küsste sie auf den Mund“ vorschlage, den Mund zu streichen. Das Untalent der Zensuristen sei sprichwörtlich, ihre schleppende Arbeit koste Nerven. Zusammen mit der Inflation – bis zu 15 Prozent pro Jahr – führe das zu Wertminderung. „Bis ein Buch fertig ist, schrumpft das halbe Honorar weg.“ Und Ali schimpft ebenfalls auf das Regime, resignierend, so wie das alle im Iran tun.
Vor dem Shopping-Center geben Ali und Reza uns ihre Mobilnummern, falls wir „Probleme haben“, und dann brausen sie davon. Die Chips finden wir tatsächlich in einem der Läden. Unser Heimweg gibt mir Zeit für eine große Herausforderung: Ich lerne die finnischen Zahlen ab 7 („seitsemän, kahdeksan, yhdeksän, kymmenen“). Warum sind diese Wörter so verdammt lange? Die finnische Kollegin weiß es auch nicht. Sie freut sich über den Chip. „Ich hab wieder so viel Speicherplatz“, sagt sie mit großer Befriedigung. Ich fürchte, ich selbst hab den nicht.

Info

Martin Amanshauser, Autor,
„Alles klappt nie“, Roman,
Deuticke Verlag 2005.
www.amanshauser.at


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