63 Frankreich

(c) Martin Amanshasuer
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Ist Österreich Mitglied der EU? Grundsatzdebatten am
Schalter von „La Poste“.

Die Mitarbeiter der französischen Post arbeiten mit den Zeitlupenbewegungen ehrwürdiger Staatsbeamter. Jeder Brief wird mit dem jeweiligen Kunden debattiert. Zusätzlich beeinträchtigt eine Panzerglasscheibe die Kommunikation. Der Beamte wiegt stirnrunzelnd meine sechs Briefe und die Postkarte: „Gehen alle nach Autriche?“ Nein, antworte ich, er könne es ja sehen, drei nach Autriche, zwei nach Deutschland, einer nach Indonesien, dazu eine Postkarte. Er nickt und fragt mit ausgesuchter Höflichkeit: „Ist Autriche Mitglied der Union?“ In seiner Miene spiegelt sich die Unwahrscheinlichkeit einer solchen Annahme.

Selbstverständlich sei Österreich EU-Mitglied, wende ich bestürzt ein. Der Beamte hebt die Augenbrauen: Egal, ob Mitglied oder nicht, ein Brief koste 50 Cent – schwerere Briefe einen Euro. Stück für Stück frankiert er die Autriche-Briefe. Dann wendet er sich den Deutschland-Briefen zu. Er murmelt etwas, was wie „Suisse“ klingt. Ich sehe, wie er „Suisse“ in den Computer tippt. Plötzlich wird mir klar, wieso: einer der Deutschland-Briefe geht in die Stadt
„Suessen“. Also schreite ich ein: Nein, Deutschland! Er hebt den Kopf, mustert mich interessiert und erläutert mir, es wäre im Grunde gleichgültig, ob Schweiz oder Deutschland, da ja beide Länder EU-Mitglieder seien.

Nun nimmt sich der Beamte die Postkarte vor. Ob ich eine echte Briefmarke wolle? Ich nicke. Er hebt hinter seinem Panzerglas einen Bogen hellblauer Marken hoch, Weihnachtsmotive mit goldener Zierschrift. Doch er zögert – offenbar irritiert ihn, einen kultivierten Mann, die abgrundtiefe Hässlichkeit des Produkts. „Wollen Sie nicht eine andere Sorte?“ Ich deute auf eine Marke, die einen Leuchtturm zeigt. Meine Wahl findet Gnade vor seinen Augen. Also schafft er aus dem hinteren Bereich des Postamts seufzend einen Markenbefeuchter heran.

Noch fehlt der knifflige Indonesien-Brief. Der Beamte wiegt ihn in der Hand und fragt ungläubig: „Indonesia?“ Ich bestätige: Oui, Indonesia. Er frankiert ihn, versieht ihn mit einem „Prioritaire“-Aufkleber, wirft ihn in seinen Briefbehälter. Dabei erfasst ihn eine deutlich erkennbare Unruhe. Er erhebt sich, zieht einen Kreis um seinen Arbeitsplatz, öffnet den Behälter von der Rückseite und holt alle Briefe wieder hervor.

Info

Er hat nämlich, wie sich nun erweist, den „Prioritaire“-Aufkleber bei den Briefen nach Autriche und Deutschland (bzw. in die Schweiz) vergessen.
Zum Abschluss bietet er mir einen Zehnerpack „bereits timbrierter“ Kuverts zum Erwerb an: Man könne damit Zeit sparen. Ich kaufe ihm das Konvolut ab und fasse den Mut, nach einer Rechnung zu fragen. Meine Forderung verblüfft ihn, kurz gerät er ins Grübeln, ins Wanken. Eine Rechnung? Er hört dieses Ansinnen nicht zum ersten Mal. Also legt er umständlich, zögernd, ein leeres Blatt in seinen Drucker – und wie durch ein Wunder streckt er mir zehn Sekunden später eine perfekte Rechnung hin. Martin Amanshauser, „Logbuch Welt“, 52 Reiseziele, Bestell- Info: 01/51414-277.


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