66 Italien

Martin Amanshauser
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Abenteuerurlaub mit nassen Ratten: Nachtquerung des Canal Grande im Schlauchboot.

Im Stiegl-Bräu (Salzburg) schmieden Alex und ich, zwei 17-jährige Schüler, einen simplen und eleganten Plan: mit dem Schlauchboot nachts venezianische Kanäle zu befahren. Geht sowas? Selbstverständlich! Alex bringt Postkarten, und angesichts der Kanäle rufen wir nicht ohne Ironie „aaah“ und „oooh“, das Schwärmen „dummer Touristen“ imitierend. Allein uns, den Risikobereiten, würde sich hingegen die wahre Schönheit erschließen!

Kurz darauf, in einer kühlen Augustnacht 1986, schleichen wir durch Venedig, im Rucksack ein orange-schwarzes Schlauchboot, die „Explorer“. Um 1 Uhr finden wir eine ruhige Ecke am Rio S. Margherita, breiten das Boot aus, pumpen. Jetzt muss alles flott gehen. Der Blasebalg schnauft und keucht asthmatisch, ist viel zu laut! Doch binnen Minuten erhebt sich, formt sich die Explorer – endlich.

Es blubbert und plätschert, als wir uns abstoßen, ins bedrohliche Schwarz gleiten. Von hier wirken die Häuser archaisch, baufällig, drohend. Venedig stinkt nach fauligem Moos. Eine Ratte lässt sich ins Wasser platschen. Ich denke an ihre scharfen Zähne. Gegenüber das Gesicht von Alex: leichenblass. Den Stadtplan auf den Knien folgen wir wortkarg unserer Route, schlüpfen unter niedrigen Brücken durch, meistern die Kielwasser später Vaporetti. Nahe der Academia wäre der Höhepunkt geplant gewesen – die Querung des Canal Grande – doch bald verirren wir uns. In einem Seitenarm: noch mehr Ratten, schwarze brotlaibgroße Ungetüme! Zehn, zwanzig, dreißig. Sie piepsen, wollen zum Boot. Wir schlagen mit den Rudern nach ihnen, wir flüchten.

Plötzlich Wellengang, wieso das? Ein Blick ums Eck: die beleuchtete Rialtobrücke. Davor eine großartig helle Wasserfläche: der Canal Grande! „Versuchen wir‘s?“, fragt Alex, und ich nicke. Wir tauchen kurz in einen Schatten, lassen ein Motorboot passieren – vielleicht Polizei? – und dann rudern wir los, fieberhaft, mit zitternden Knien. Die Erregung verstärkt das Schaukeln!, nur nicht kippen und kentern! So quert die Explorer mit Alex und mir erstmals den Canal Grande.

In der Mitte klatschender Seegang, Rollen und Schlingern, doch hier gibt es kein Zurück. Erfahrung mit Wellen haben wir ja: Am Vortag sind wir ins offene Meer gefahren, für ein privates Foto-Shooting. Wir sind uns recht muskulös vorgekommen. In Wirklichkeit bestehen wir aus Haut und Knochen, das wird mir bei der Querung bewusst.

Info

Andere Seite des Kanals: unsere Rettung, aber auch Angst, dass die Haut der grazilen Explorer an Planken zerfetzt oder von Häuserwänden aufgerissen wird. Endlich ein Anlegeplatz, zum Rasten. „Geschafft“, seufzt Alex. Sein Gesicht wirkt eigenartig dünn im Licht des Mondes. Später überqueren wir den Canal Grande ein zweites Mal, jetzt ist das fast schon Routine – und wir rudern, begleitet von schwarzen Ratten, bei San Marco tatsächlich an einem Carabiniere vorbei, doch der schaut weg. Wir fahren bis ins Morgengrauen. Martin Amanshauser, „Logbuch Welt“, 52 Reiseziele, Bestell-Info: oder Fax 01/51414-277.


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