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Wieso ich froh bin, dem Meister Kurt Vonnegut nie beigefüttert worden zu sein.

Am 9. April 2007 sah ich in der New Yorker Subway ein Graffito, das mich berührte: „Kilgore Trout was here.“ Trout, eine Romanfigur von Kurt Vonnegut, war der denkbar schlabbrigste, unerfolgreichste, doch gleichzeitig stolzeste, aufrechteste Schriftsteller der Welt. Kilgore Trouts Kurzgeschichten wurden – laut Vonneguts Fiktion – nur in Pornomagazinen abgedruckt, von denen er nicht einmal Belegexemplare erhielt. Trout musste sich seine eigenen Werke in Pornoshops beschaffen.

Das Romanfigur-Graffito erinnerte mich da-ran, dass ich mein Projekt vernachlässigte, Kurt Vonnegut zu interviewen. Wieder war ich in seiner Stadt, wieder ohne Interviewtermin. Wenn ich und Kurt Vonnegut ewig so dahinlebten – dachte ich –, würden wir einander nie begegnen.

Ich führe ungern Interviews. Es klappt immer nur halb. Ich rede zu viel. Ich höre ungenau zu. Mein Unbewusstes möchte die Interviewpartner lästigerweise immer auf mich selbst hinweisen. Die Interviewpartner nehmen diese nonverbalen Bemühungen nur peripher wahr, da sie ja versuchen, auf sich selbst hinzuweisen. Oft haben diese Menschen Bücher geschrieben, die mir gefallen. Und am Ende bin ich meist etwas enttäuscht von ihnen.

Angesichts des Kilgore-Trout-Graffito fühlte ich Wehmut, aber mit Erleichterung: Vonnegut würde auch diesmal keine Gelegenheit bekommen, mein Bild von ihm ins Wanken zu bringen: Seit der Lektüre von „Cat’s
Cradle“ halte ich Kurt Vonnegut für den weisesten Schriftsteller des letzten Jahrhunderts.

Ich hatte drei Kontaktversuche unternommen. 2003 bat ich seinen deutschen Übersetzer um Vermittlung. Der antwortete 2004: Falls ich seinen persönlichen Rat wolle, das Leben sei zu kurz für Interviews; ansonsten solle ich mich an die Verlage wenden. 2005 verlief mein Kontakt zum amerikanischen Vonnegut-Verlag im Sand. 2006 vertröstete mich der PR-Mann seines deutschen Verlags: „Danke für die Anfrage. Aber erst müssen wir dem Meister noch zwei zentral wichtige Interviews beifüttern.“ Kurz darauf fand ich ein Vonnegut-Interview im „Spiegel“ und musste konstatieren, dass meine zentrale Wichtigkeit (Ö/„Qualitätsmedium“) im Hinblick auf Beifütterung des Meisters geringer war, als ich angenommen hatte.

Der 11. April 2007 war in New York ein nebliger, kalter Tag, und der 12. April ebenfalls. Im Stadtteil Chelsea gab es vermutlich kein einziges Kilgore-Trout-Graffito. Doch ich entdeckte plötzlich zu meinem Entsetzen auf einem Speisekarten-Ständer vor einem peruanischen Lokal einen simplen Nachruf in Kreide: Kurt Vonnegut möge „auf seinem neuen Planeten in Frieden ruhen“. Er war am Vortag, wenige Kilometer von hier, im Alter von 83 Jahren gestorben. „Und falls ich – Gott behüte – je sterben sollte, würde ich gerne in den Himmel kommen“, hatte Vonnegut in seinem letzten Buch gefordert. Gott behütete ihn zumindest vor mir. Und an den Himmel glaubt eh niemand mehr, der seine Bücher gelesen hat.

Der Autor

Martin Amanshauser, „Logbuch Welt“, 52 Reiseziele, www.amanshauser.at, Bestell-Info: www.diepresse.com/amanshauser oder Fax 01/51414-277.


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