84 Brasilien

(c) Martin Amanshauser
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Zwei Brüder bewachen einen kleinen Teil des Regenwaldes. Sie sind glücklich dabei.

Senhor António ist Wildhüter im Regenwald von Paraná. Vor seinem Holzhaus steht er im grünen Pullover, ein schöner 70-jähriger Mann. Schnurrbart, grauweiße Haare, schlechte Zähne. Ein paar Holzstufen führen in den erhöhten Wohnbereich: Schlangen mögen keine Stufen.

Er besitzt fünfzehn Hühner und zwei Hunde, die anderswo „Promenadenmischung“ heißen würden. Hier erfüllen sie wichtige Aufgaben. Denn Senhor António muss am Laufenden sein. Wenn Palmherzen-Wilderer unterwegs sind, alarmiert er die Umweltpolizei: „Letzte Woche haben wir einen erwischt, in meinem Rayon haben sie keine Chance.“ Ein Kampf gegen falsches Bewusstsein: Im Gegensatz zur Amazonas-Palme wächst die lokale Palmenart nicht nach. „Montag, Mittwoch und Freitag gehe ich meinen Rundgang“ – nachsehen, ob noch alle Palmitos da sind.
Senhor Antónios Haus steht einsam. Weit und breit keine Straßen, nur morastige Wege, Flüsse, Regenwald. Die nächste Wohnstätte ist drei Kilometer entfernt – die seines Bruders, Senhor Rodrigo. Der ist heute zu Besuch: wie fast jeden Tag, denn im Regenwald gibt es nicht viel zu tun.

Senhor António und Senhor Rodrigo haben hohe, melodiöse Stimmen, und sie lachen viel: „Nein, Sie stören absolut nicht, es ist doch eine Abwechslung, ab und zu mit jemandem zu sprechen!“ Senhor Rodrigo, bisher im Hintergrund, tritt nun mit seinem schwarzen Gaucho-Hut vor die Tür.

Etwas stimmt mit Senhor Rodrigos Nase nicht, sie ist abgeflacht, eingedrückt, wie eine dreigespaltene Kartoffel; ein Unfall, eine Krankheit, sogar beides? Besonders gut versichert sind die Brüder bestimmt nicht. Auch ihre anderen Brüder und Schwestern dürften schlecht versichert sein – insgesamt sind sie 23 Geschwister. „Unserer Mutter in Curitiba geht’s blendend, gerade wurde sie 91 Jahre alt.“ Mit einem Land Rover wäre man in drei bis vier Stunden in Curitiba. Doch Senhor António fährt selten in die Hauptstadt von Paraná.

Nach 25 Jahren in der Gegend könnte man vermuten, dass die Brüder hier stark verwurzelt sind. Doch ihr Familiennetz überzieht halb Brasilien. Niemand soll sagen, dass sie hinter dem Mond leben! Sie kennen das Amazonasbecken, lebten in São Paulo. „Wir sind Wanderer“, erläutert Senhor António, während Senhor Rodrigo seine vertrauten Orte aufzählt – alle in Brasilien, aber jeder tausend Kilometer vom nächsten entfernt.

Die Brüder sprechen über die warmen, feuchten Nächte und die Wildtiere. „Neulich war der Ozelot wieder da, er hat drei Hühner gerissen. Wir sehen ihn nie, auch die Hunde schlagen nicht an. Du hörst von ihm absolut nichts.“ Mit der Frage, ob sie persönlich Angst vor den Raubtieren haben, können die Brüder nichts anfangen. „Wir leben gut hier“, sagt Senhor António, und Senhor Rodrigo nickt bestätigend, „es ist ruhig und angenehm, und wir haben, was wir brauchen. Wenn Sie wollen, können Sie am Rückweg gerne vorbeischauen!“

Info

Martin Amanshauser, „Logbuch Welt“, 52 Reiseziele, Bestell- Info: Fax 01/51414-277.


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