87 Neuseeland

(c) Martin Amanshauser
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Abseiling mit dem Höhlenmenschen McKay: Aus der welt des Unterirdischen.

Kieran McKay fühlt sich in Höhlen wohl. „Ich verbrachte schon als Kind jede freie Minute drin.“ Heute macht er Touren durch Schluchten der Waitomo Caves – und er will keineswegs fade Freizeitkleidungs-Besucher in Schiffchen bugsieren: „Expedition, nicht Tourist-Adventure. Dieser Teil der Höhle ist eine kleine Herausforderung. Leute mit gutem Fitnesslevel schaffen das.“ Kierans Mauseloch, durch das wir in den Berg schlüpfen, befindet sich zwanzig Kilometer talaufwärts. Er kleidet seine Besucher mit zwei Schichten Stretchgewand vom Typus langer Unterhose ein, darüber ein Ganzkörperanzug, „wir stehen ja bis zum Hals im Wasser, 11 Grad.“
Das klingt beunruhigend. Ebenso beunruhigend die ersten Meter im Höhlen-
system: gleich ein Durchschlupf, der Geburts-
traumata heraufbeschwört und ein paar arge Wände mit Absturzgefahr. „Einige Leute drehen gleich wieder um. Das ist völlig okay, die kriegen ihr Geld zurück.“ Furchtlosen Anfängern verpasst Kieran McKay einen theoretisch-praktischen Grundkurs. Am Seil eingehakt hantelt man sich über tiefe Schluchten hinweg, an den steilsten Klippen wird „Abseiling“ – ein englischer Fachbegriff – betrieben, 15 Meter mit doppelter Sicherung dem Abgrund entgegen. Als Belohnung erreicht man nach einer Klettertour von einer guten Stunde eine Halle mit Stalakmiten und Stalaktiten, die in allen Farben schimmern. „Sie wachsen einen Zentimeter pro Jahrhundert. Also Vorsicht, nicht mit dem Helm dran stoßen!“
Kieran hebt eine versteinerte Auster vom Boden auf: „Die ist Jahrtausende alt, und kein Mensch hat sie je in der Hand gehalten. Das Faszinosum am Caving ist dieses Entdeckergefühl: etwas als absolut erster Mensch zu tun. Wieviele Orte auf der Erde gibt es, wo noch niemand war?“ Kieran kennt eine Menge solcher unterirdischer Landschaften. Ende der Neunziger Jahre wäre eine davon beinahe zu seiner letzten geworden. „Ich dachte, das Abseiling dort sei zu 95 Prozent sicher, aber es gab eben noch die anderen 5 Prozent. Meine Verankerung riss. Ich stürzte zwanzig Meter ab. Hatte Glück – Arm und Bein gebrochen, zerschmettertes Kiefer. Ich brauchte vier Tage, bis ich es ans Tageslicht zurückschaffte!“

Raststation an einem Flüsschen, in den man die Gummistiefel hält. Kieran McKay packt unvorstellbar große Kekse aus, hart und rau, schokoladig, sie passen irgendwie. „Bitte die Helmlampe ausschalten!“ Gelbe Pünktchen an der Decke: die weltberühmten Glühwürmchen der Waitomo Caves. „Leute fragen oft, wie ich die Nässe, die Kälte, die Dunkelheit ertrage“, spricht Kieran in die Dunkelheit, „dabei merke ich das kaum. Früher hatte ich oft ein mulmiges Gefühl, wollte raus. Seit dem Unfall nicht mehr. Wenn ich jetzt eine Woche unterirdisch bin, gefällt mir das.“

Wir klettern das Flussbett entlang, der Wasserpegel steigt zum Hals. An kritischen Stellen hilft Kieran, notfalls darf man sogar auf seine Schulter steigen. Doch bei den wenigen entscheidenden Schritten im Leben ist man alleine.

Der Autor

Martin Amanshauser, „Logbuch Welt“, 52 Reiseziele, www.amanshauser.at, Bestell-Info: www.diepresse.com/amanshauser oder Fax 01/51414-277.


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