Das Ende der kapitalistischen Knechtschaft

(c) AP (Julie Jacobson)
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Die Finanzkrise zeige, dass die Marktwirtschaft nicht alltagstauglich sei – nur auf den von Bürokraten und Politikern gelenkten Staat sei Verlass. Behaupten zumindest Bürokraten und Politiker.

Noch-Kanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) nutzte einen seiner letzten großen Auftritte im internationalen Blitzlichtgewitter dazu, seinem schwer geprüften Volk aus der Ferne noch einmal die Dimensionen der globalen Finanzkrise vor Augen zu führen. Von der UN-Versammlung in New York schickte der Kanzler folgende Botschaft über den großen Teich: „Jahrelang wurde uns eingeredet, es gäbe keine Risiken und staatliche Kontrollen seien nicht notwendig, weil die Märkte sich selbst kontrollierten. Jetzt, wo alles den Bach hinuntergeht und der größte Schaden auf den Finanzmärkten seit 1929 angerichtet wurde, ertönt der Ruf nach dem Staat“, so Gusenbauer.

Spätestens seit in den USA die Banken „krachen“, müsse doch jedem klar sein, dass der „neoliberale Finanzkapitalismus“ am Ende sei. Nun könnte man meinen, Gusenbauers Kritik wäre eine Art sozialdemokratische Revanche an der Marktwirtschaft. Deren beispiellosen Siegeszug hat ihr die Linke schließlich nie verzeihen.

Parteiübergreifende Einigkeit

Weit gefehlt. Unser Noch-Kanzler ist mit seiner Analyse alles andere als allein, er steht vielmehr für den Mainstream in der Politik. UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon meinte erst diese Woche, dass die Märkte nun ihre „Magie“ verloren hätten. Und für Frankreichs Präsidenten Sarkozy ist jetzt klar, dass der Markt nicht immer recht hat.

Die Pleite großer US-Banken hat aus Sicht der Politiker aller Lager vor allem eines gezeigt: Der Weg aus der (kapitalistischen) Knechtschaft führt uns direkt zurück in die Arme des Staates, der uns vor allem Schlechten bewahrt.

Was haben wir für ein Mordsglück, in unserem Staat jene allerletzte Rettungsinsel vorzufinden, die uns in diesen turbulenten Zeiten den ersehnten Schutz bietet. Eine heile Welt namens Österreich, in der uns der Staat zeigt, wie man's macht. Ein Budgetüberschuss jagt den nächsten, der Schuldenberg aus der Vergangenheit ist fast abgebaut. Großzügige Geldgeschenke vor dem Wahltag, um sich die eigene politische Karriere abzusichern? So etwas würde es bei uns nie geben, das Geld wird konsequent in die Zukunft gesteckt.

Etwa in die Bundesbahnen, die eine Hochgeschwindigkeitsstrecke nach der anderen eröffnen, um Kunden in Windeseile von Ost nach West zu chauffieren. Die Milliarden-Subventionen des Staates werden nicht – wie immer wieder behauptet wird – im Mitarbeiter-Schlaraffenland namens ÖBB verbraten, sondern investiert.

Die staatlichen Hochschulen sind längst Weltklasse. In bestens ausgestatteten Unis bereiten praxiserfahrene „Lehrkörper“ und Wissenschaftler wissbegierige Studenten auf die Zukunft vor – und das ab März auch wieder „gratis“. Vereinbarkeit von Beruf und Familie? Kein Problem. Der Staat weiß, was Dienstleistung heißt und bietet flächendeckend im ganzen Land Kinderbetreuungsstellen, die bis 18 Uhr geöffnet sind.

Pensionen: Für 500 Jahre sicher

Den Politikern war auch kein Opfer zu gering, um das Pensionssystem mit harten Maßnahmen auf Vordermann zu bringen. Während in den USA Millionen von Pensionisten zittern müssen, weil die Alterssicherung kapitalistischen Finanzhaien anvertraut wurde, wissen die Österreicher: Das staatliche Pensionssystem ist für die nächsten 500 Jahre gesichert.

Nahezu über sich hinausgewachsen sind die „Manager“ des Staates bei der Sanierung des Gesundheitssystems: Die Kassen mussten sich dem unbarmherzigen Druck der Politik beugen und ihre aberwitzig aufgeblähte Organisation radikal straffen und auf Effizienz trimmen. Weshalb endlich mehr Geld für die Betreuung der Patienten und Alten bleibt.

Sie glauben das nicht und meinen, die Wirklichkeit sehe anders aus? Nämlich so: Der Staat gibt jedes Jahr mehr Geld aus als er einnimmt, weil sich noch kein Finanzminister den Länder-Chefs zu sagen traute, dass es die Welt, in der sie zu leben glauben, gar nicht mehr gibt. Die Gebietskrankenkassen sind de facto pleite, selbst in Zeiten der Vollbeschäftigung (=Rekordeinnahmen für die Kassen) fallen horrende Defizite an.

Öffentliche Kindergärten kosten pro Monat zwar doppelt so viel wie ein Hochschulstudium, sind im Vergleich zu den Unis dafür nur halb so lange geöffnet. Das österreichische Bildungssystem ist laut OECD zwar das teuerste der Welt, aber bei Weitem nicht das beste. Und die ÖBB gondeln trotz milliardenschwerer Dauersubventionen mit über 20 Jahre alten Garnituren durch die Gegend, um nichts schneller als in den 70er-Jahren.

Nun ja, sollten Sie das für die Wirklichkeit halten, wäre es wohl angebracht, den Märchenonkeln aus der Politik, die nun die Probleme an den Finanzmärkten lösen wollen, mit einer gehörigen Portion Skepsis zu begegnen. Bei aller berechtigen Kritik am Versagen der internationalen Bankenwelt, wäre es auch interessant zu wissen, wo denn die „Manager des Staates“ eigentlich waren, als es darum ging, den Verkauf hochkomplexer Finanzprodukte durch staatliche Aufsichtsbehörden prüfen zu lassen? Wo sie doch für die Gesetze zuständig sind und eh alles kommen sahen. Und wo blieben die kritischen Worte der Politiker, als die staatlichen Notenbanken die Märkte mit billigem Geld überschwemmten, wodurch die Spekulationsblase überhaupt erst ermöglicht wurde?

Der tägliche Ruf nach dem Markt

Es gibt also keinen Grund, mit den Politikern über das Ende des „neoliberalen Finanzkapitalismus“ um die Wette zu jubeln. Erstens sieht ein gescheitertes System wohl etwas anders aus. Selbst nach den jüngsten Abstürzen ist das Kursniveau in New York noch immer um ein Fünftel höher als 2003.

Zweitens ist es zwar zu verheerenden Fehlentwicklungen gekommen. Während aber in der nicht gerade umwerfend erfolgreich agierenden Staatswirtschaft seit Jahren weiter gewurstelt werden darf (etwa in den Krankenkassen), erfahren Aktionäre wie Banker und Politiker gerade, dass in der Marktwirtschaft nicht alles geht. Dass dabei auch Steuergeld zum Einsatz kommt, ist bedauerlich – aber der Staat war an der ganzen „Sause“ auch nicht gerade unbeteiligt.

Drittens ruft der Staat zwar nicht nach dem Markt, lässt sich aber alles von ihm zahlen. Es sind nämlich die Gewinne aus der Marktwirtschaft, die den großzügig ausgestatteten Wohlfahrtsstaat finanzieren. Darauf vergessen die Politiker gerne, die jetzt ihren Einfluss auszuweiten versuchen. Genau davor sollten wir sie beschützen – sie haben nämlich alle Hände voll zu tun, die Probleme im eigenen Bereich in den Griff zu kriegen.


franz.schellhorn@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2008)


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