Der Wettstreit der europäischen Großreiche um Kulturprojekte

Österreich leitet seit fast 120 Jahren die Forschungsarbeiten in Ephesos. Jetzt prüft die Unesco, ob die Grabungsstätte nächstes Jahr zum Weltkulturerbe ernannt wird.

Wie kommt es, dass eine der wichtigsten archäologischen Ausgrabungsstätten Österreichs im westtürkischen Ephesos liegt? Das bekannte Kulturprojekt ist Teil der imperialen Vergangenheit Österreichs. Die Leiterin der Grabungen in Ephesos und Direktorin des Österreichischen Archäologischen Instituts (ÖAI), Sabine Ladstätter, spricht gar von „Kulturimperialismus“: „Im 19. Jahrhundert standen die Großreiche im Wettstreit um Kulturprojekte. Dazu zählte damals auch Österreich-Ungarn.“
Die Österreicher wollten bei den prestigeträchtigen Projekten „vorn mitmischen“. Und so übernahm man die Forschungsstätte 1895 von den Briten. Otto Benndorf, Ordinarius der Uni Wien und Begründer des ÖAI, führte zusammen mit dem Archäologen Carl Humann erste Grabungen durch.

„Die Motive wurzelten in einer stark eurozentrischen, christlichen Sichtweise“, sagt Ladstätter. So sei es damals darum gegangen, die durch den Islam verschütteten Wurzeln der europäischen Kultur zu bewahren. Gleichzeitig wollte man eine Basis für die archäologische Forschung in Österreich schaffen. Besonders wertvolle Fundstücke gingen aber auch an die kaiserliche Sammlung. „Damals gab es noch die Fundteilung, das heißt, die Funde blieben nur teilweise im Land.“ Vielfach gab es auch Geschenke des Sultans an Kaiser Franz Josef. „Weiße Pferde für weißen Marmor“, hieß es – der Kaiser bot im Gegenzug für die Geschenke aus dem Osmanischen Reich Lipizzaner an.

Öffnung nach außen

Als Ladstädter vor vier Jahren die Leitung der Grabungen übernahm, wollte sie ein klares Zeichen gegen den früheren Kulturimperialismus setzen. Sie arbeitet daher nicht nur eng mit Kollegen aus der Türkei zusammen, sondern öffnete Ephesos für Wissenschaftler aus aller Welt, die auch aus der Geologie, Vegetationsgeschichte oder Technik kommen. 250 Wissenschaftler sind in Ephesos tätig, davon ein Drittel Studenten. Dazu kommen etwa 50 Arbeiter. „Allein heuer zählen wir bereits 8500 Übernachtungen im Grabungshaus“, sagt Ladstätter. Das Interesse an der Forschungsstätte ist also ungebrochen.
Und Interesse hat auch die Unesco: Auf Antrag der türkischen Regierung gab es im Sommer eine umfassende Erhebung. Nun wird geprüft, ob Ephesos Weltkulturerbe wird. Die Forscher rechnen bis Juli 2015 mit einer Entscheidung. (gral)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2014)

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