Alles, was man nicht wissen wollte

Am meisten überzeugt Truman Capote als Reporter, wenn er renitente Putzfrauen oder schäbiges spanisches Hinterland schildert. Berühmt wurde er freilich mit Artikeln über die Schrullen der Reichen und Mächtigen: „Die Hunde bellen“.

Den abschüssigen Weg des Ruhms, Truman Capote ist ihn bis ans Ende gegangen. Schon in seinen Zwanzigern wurde er mit Reportagen, Drehbüchern, Romanen weltberühmt und reich. Gehetzt von der Panik, aus der Welt des Glamours wieder vertrieben zu werden, inszenierte er sein Künstlertum vier Jahrzehnte lang als fortgesetzten Skandal. So etwas ist kostspielig und anstrengend. Wer eine Party im New Yorker Plaza Hotel für 550 sogenannte Prominente ausrichtet, weil er beim „Maskenball des Jahrhunderts“ als Zeremonienmeister agieren möchte, muss sich den nächsten Vorschuss von Hollywood schon gesichert haben.

Die letzten Jahre des Autors, der über der Beschleunigung seines Lebens alkoholkrank und drogenabhängig wurde, waren schrecklich. Nachdem er 1975 einen Enthüllungs-Artikel über die Upper Class veröffentlicht hatte, verübte die Witwe eines Milliardärs, die von Capote wohl zu Recht bezichtigt wurde, diesen vor zwanzig Jahren selbst ins Jenseits befördert zu haben, Selbstmord. Fortan wurde der Parvenu, dem es zum Handwerk des Autors gehörte, für seine Präsenz in der Klatschpresse zu sorgen, geschnitten. Was folgte, waren erfolglose Entziehungskuren, desaströse Auftritte in Talkshows, Gefängnisaufenthalte. Seit „Kaltblütig“ aus dem Jahr 1965 war ihm kein großes Werk mehr geglückt, und, genau besehen, ist dieser Tatsachenroman, mit dem er ein eigenes Genre erfand, ohnedies das einzige bedeutende Buch, das er geschrieben hat.

Das zu überprüfen, bietet die jetzt mit dem achten Band abgeschlossene Ausgabe seiner Werke im Kein & Aber Verlag Anschauungsmaterial genug. Das engagierte Ziel dieser Züricher Werkausgabe ist es zwar, einen Klassiker der Moderne, einen der großen Stilisten der amerikanischen Literatur zu präsentieren, allein die Bücher, neu übersetzt und liebevoll kommentiert, legen einen ganz anderen Schluss nahe: dass dies ein gescheiterter Autor war, der die Höhe seines Könnens nur ein einziges Mal erreichte, eben in der selber eiskalten Sinnes geschriebenen Reportage „In cold blood“, für die er die Geschichte eines mehrfachen Mordes bis hin zur Hinrichtung der Täter über Jahre recherchierte; was er dann vorlegte, war mit überwältigender Kenntnis der Hintergründe sowie der abscheulichen, abstrusen und banalen Details ausgestattet und mit kompositorischem Geschick in einem rigoros abgespeckten Stil geschrieben. Es entsprach dem, was Capote von der neuen Literatur gefordert hatte: dass in ihr die Dinge selber zu sprechen beginnen und das vermeintlich niedere Genre der Reportage zur großen Kunst werde.

Gleiches hat er nie wieder zuwege gebracht, weder in seinen eher bieder erzählten Romanen, die sich wie „Frühstück bei Tiffany“ allerdings für die Verfilmung eigneten, noch in den vielen Reportagen und Porträts, die er um grandiose Honorare in Zeitschriften und Magazinen veröffentlichte und alle paar Jahre in Büchern sammelte. Gerade bei diesem, seinem ureigenen Metier, dem er sein literarisches Ansehen verdankte und auch den Ruf, der glänzendste Vertreter des „New Journalism“ zu sein, treten seine Schwächen besonders deutlich zutage. Immerhin 900 Seiten nimmt der abschließende Band der Werkausgabe ein, „Die Hunde bellen“, der Reportagen und Porträts aus den Jahren von 1959 bis 1980 vereint. Die literarische Kritik hat sie im deutschen Sprachraum begeistert aufgenommen, was ein starkes Indiz dafür ist, dass die Kenntnis von Büchern für deren dienstfertige Bejubelung längst nicht mehr vonnöten ist.

Am Anfang der Sammlung stehen „Porträts“, die Capote 1959 für einen Fotoband Richard Avedons verfasste. Uninspirierter ist über Chaplin, Picasso, Armstrong oder Marilyn Monroe selten geschrieben worden, und man kann sich nur wundern, dass diese ambitionslose Anlassprosa nach fünfzig Jahren und noch dazu in einer fremden Sprache neuerlich aufgelegt wurde. Dass Capote fast ausschließlich über die Reichen und Mächtigen schrieb, braucht man ihm nicht vorzuhalten, wohl aber, dass er über sie nur zu berichten wusste, was man gar nicht wissen wollte. Informationen wie die, dass bei Elizabeth Taylor „ähnlich wie bei Mrs. Onassis die Beine zu kurz für den langen Oberkörper waren und der Kopf wiederum zu groß für die gesamte Figur“, sind nicht wirklich dazu angetan, unsere Sicht aufs Dasein zu erschüttern.

Kommt hinzu, dass er seine Zeilen mit allerlei Tricks und schalen Gags auf die erwünschte Länge zu schinden pflegte. Eine typische Reportage von ihm beginnt so: „Vor einigen Jahren (tatsächlich sind es schon mehr als fünfzehn) hatten eine Freundin und ich die Idee, eine neue Art von Surprise-Party im New Yorker Gesellschaftsleben zu etablieren.“ Das war zwar eine überfällige Idee, aber warum muss er uns vom Zeitpunkt, an dem sie zur Wirklichkeit einer gewiss gelungenen Überraschungs-Party wurde, so gekünstelt in Kenntnis setzen?

Am ehesten überzeugen jene gezählten Texte, in denen Truman Capote einmal nicht den Zelebritäten und ihren gar so originellen Schrullen huldigt, sondern eine wunderbar renitente Putzfrau, eine längst verstorbene Tante oder eine hilfsbereite Farmersfrau porträtiert. Auch die Reisebilder gelingen ihm subtiler und kräftiger zugleich, wenn er sich von dem Zwang befreit, mit den prominenten Freunden, die er in aller Welt hatte, zu renommieren. Wenn er eine Zugreise im schäbigen Hinterland der spanischen Provinz schildert, hat das Atmosphäre; aber gleich darauf finden wir den Autor wieder auf irgendeiner Luxusyacht, von der er uns beflissen verrät, dass in ihrem Salon ein echter Rubens hing. Schauerlich zu lesen, wie hier ein begabter Autor vor dem Reichtum und der Macht auf die Knie ging; kniend aber ist nicht gut schreiben. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2008)

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