China: „Das Ende der US-Finanz-Hegemonie“

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Das Regime bereitet sich auf eine Shopping-Tour an der Wall Street vor. Auf Triumphgeheul verzichtet es aber. Der Wiederaufstieg des Reichs der Mitte zur Weltmacht soll weiterhin möglichst lautlos erfolgen.

SINGAPUR/PEKING. Nicht polternd, sondern auf leisen Sohlen will China zur Weltmacht aufsteigen. Dementsprechend zurückhaltend reagiert das Regime in Peking auf die Finanzkrise in den USA. Keine Spur von Triumphgeheul. Wenn sich nun das globale Machtgleichgewicht weiter nach Asien verschiebt, wird China das still begrüßen, aber nie offen kommentieren. Es will sein eigenes Licht, das bald noch heller leuchten könnte, möglichst unter dem Scheffel halten. Das hat schon der Vater der chinesischen Reformen Deng Xiaoping empfohlen.

Denn kaum etwas fürchtet die KP mehr, als Neider auf den Plan zu rufen, die den Wiederaufstieg des Reichs der Mitte mit vereinten Kräften hintertreiben könnten. Seit Jahren arbeitet China still und beharrlich auf eine multipolare Welt hin. Je mehr sich die USA in Kriege oder wirtschaftliche Schwierigkeiten verstricken, desto ungestörter können die Chinesen ihren Einfluss und ihre Machtstellung ausweiten. Das globale Spiel läuft gut für die KP. Doch die Turbulenzen jenseits des Pazifiks wecken auch Ängste in Peking.

„Ich bin sehr besorgt“, sagte Chinas Premierminister Wen Jiabao. Dabei ist sein Land im internationalen Vergleich relativ wenig von der amerikanischen Finanzkrise betroffen. Doch es werden auch chinesische Anleger Geld verlieren. Allein die Pleite der US-Investitionsbank Lehman Brothers könnte sieben chinesische Banken bis zu 721 Millionen US-Dollar kosten.

Am meisten hat die China Construction Bank in Lehman-Anleihen investiert, rund 190 Millionen US-Dollar. Erwischt hat es auch die Investmentfirma Hua An, die einen Auslandsfonds auflegte und Lehman Brothers daran beteiligte. Durch dessen plötzliche Insolvenz soll Hua An zumindest vorübergehend die Kontrolle über den Hunderte-Millionen-Fonds verloren haben.

Überdies soll Lehman Brothers seinerseits Aktien an chinesischen Unternehmen wie Lenovo, China Telecom und China Mobile gekauft haben. Anleger fürchten, dass deren Aktien einbrechen könnten, sobald Lehman Brothers' Anteile verkauft werden.

Binnennachfrage stärken

Doch Direktor Li Yang vom Forschungszentrum für Finanzanalysen an der Akademie der Sozialwissenschaften beruhigte in den Staatsmedien. So schlimm könne es gar nicht werden, sagte er. Denn Chinas Kapitalmarkt sei noch nicht komplett offen und chinesische Banken hätten gerade erst begonnen, im Ausland zu investieren.

Die Führung hat bereits Mitte September erste Maßnahmen ergriffen und den Leitzins gesenkt. Eine Tochter der staatlichen China Investment Corporation erwarb jeweils zwei Millionen Aktien der drei größten Banken, um den heimischen Finanzsektor zu stärken. Die Losung lautet nun, die Binnennachfrage zu steigern, um die Exportausfälle wettzumachen. Immer noch gehen die Behörden davon aus, dass die chinesische Gesamtwirtschaft 2008 um knapp zehn Prozent zulegen wird.

Ding Zhijie, Professor an der Pekinger Wirtschaftsuniversität, sieht in der Krise sogar Potenzial: „Es ist gerade eine gute Zeit für ausländische Investoren inklusive China, Investitionen in den USA zu erwägen.“ Antony Leung von der Blackstone Group spricht von einer Jahrhundertchance. Und die Bank of China bestätigte, dass sie sich schon an der Wall Street umschaut.

Kräftig investieren könnte vor allem die China Investment Corporation. Immerhin verwaltet der Staatsfonds 200 Milliarden von Chinas 1,8 Billionen US-Dollar Auslandsdevisen. Fünf Milliarden US-Dollar hatte er bereits im Dezember in Morgan Stanley gesteckt, den Anteil heuer aber doch nicht wie erwartet von knapp zehn auf 49 Prozent aufgestockt. Stattdessen heuert er in den USA nun Top-Banker an.

Unterdessen versuchen die US-Institute, ihre Vermögenswerte in China in Bares zu verwandeln. So bietet Morgan Stanley den Apartmentkomplex Jinlin World in Schanghai für 1,1 Milliarden Yuan (111 Millionen Euro) zum Kauf an. Lehman Brothers will das Huhai Commercial Building losschlagen und AIG das Shanghai Center.

„Die Fehler der USA nicht wiederholen“

Angesicht dieser Entwicklungen entwerfen Experten Extremszenarien. So wähnt Ding Yifan vom State Council Development Research Center in einem Artikel bereits das „Ende der amerikanischen Finanzhegemonie“. Das würde jedoch nicht zwangsläufig bedeuten, dass China die Weltführung übernimmt. Schließlich hängt der China-Boom stark von der amerikanischen Nachfrage nach Konsumgütern ab und diese wiederum ist stark kreditfinanziert.

So fragen sich Analysten vor allem, was China aus der US-Finanzkrise lernen könnte. „Wir sollten die Fehler der USA nicht wiederholen“, warnt Dong Xian'an von Southwestern Securities. Den „Mängeln des Marktes“, die schon Karl Marx konstatiert hatte, will das turbokapitalistische KP-Regime mit stärkerer Regulierung beikommen. Es wird sich noch mehr Zeit lassen mit der Öffnung seiner Finanzmärkte, seine Machtposition aber emsiger denn je ausbauen.

DIE UNGEHEURE MACHT DER ÖLSTAATEN

1.000.000.000.000 Dollar (1 Billion) betragen die jährlichen Öl-Erlöse der 13 OPEC-Mitglieder. Alleine die USA geben jeden Tag eine Milliarde Dollar für Öl aus. Seit einigen Jahren legen die Regierungen der ölexportierenden Staaten (aber auch von Staaten mit hohen Leistungsbilanzüberschüssen) ihre Gelder in Staatsfonds („Sovereign Wealth Funds“) an. Diese Staatsfonds besitzen ein Vermögen von über 3,5 Billionen Dollar (das ist mehr als 10 Mal soviel wie die gesamte Wirtschaftsleistung der Republik Österreich und 11/4 des Bruttosozialprodukts von Deutschland).

In einem Artikel in der einflussreichen Zeitschrift „The American Interest“ argumentiert der Direktor des Institute for the Analysis of Global Security, Gal Luft, dass dramatische Ölpreissteigerungen stets einer Rezession der US-Volkswirtschaft vorangegangen seien. Luft schreibt in der Einleitung zu seinem Artikel „Ausverkauf – Staatsfonds und ökonomische Sicherheit“: „Billionen von Dollars wandern von entwickelten Industrienationen in die Koffer einer kleinen Gruppe von ölfördernden Nationen, von denen die meisten autoritär geführt werden und von denen viele eine unfreundliche Haltung gegenüber dem Westen an den Tag legen.“

Ein Grund für die Wirtschaftskrise in den USA ist, dass die USA seit Jahren über ihre Verhältnisse leben: Die Sparquote ist gering, das Budgetdefizit liegt bei 400 Mrd. Dollar, dazu kommt ein Handelsbilanzdefizit von rund 700 Mrd. Dollar. Vor allem die Handelsbilanz mit China ist unausgeglichen: 2007 gingen Waren im Wert von 322 Mrd. Dollar von China in die USA – 20 Prozent der chinesischen Exporte. Das ermöglichte China, den USA gewaltige Summen zu borgen: Derzeit hält China 1,8 Billionen Dollar an US–Schulden. sei

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2008)

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