Die ÖVP ist nicht oppositionstauglich

Als von bündischen Konflikten zerrissene Partei würde die ÖVP beim Wähler kaum Anklang finden. Eine grundlegende Strukturreform aber hätte nur in einer Hochphase Aussicht auf Erfolg.

Wie schon im Herbst 2006 mehren sich in der ÖVP die Stimmen, die Partei solle in Opposition gehen. Unterstützt werden diese vor allem im ÖAAB vertretenen Ansichten auch von der ÖVP-Spitze, die betont, dass etwaige Regierungsverhandlungen ergebnisoffen seien.

Doch ist der Gang in die Opposition für die ÖVP eine reale Option? Sicherlich ist es schon allein aus strategischen und taktischen Erwägungen nötig, bei Regierungsverhandlungen die Möglichkeit in den Raum zu stellen, um den Verhandlungspartner „gefügiger“ zu machen, ein Blick in die Parteigeschichte zeigt jedoch, dass die Österreichische Volkspartei, abgesehen von ihrem Verständnis als staatstragende Partei und ihrer inhaltlichen Positionierung, aufgrund ihrer ungelösten strukturellen Probleme nicht oppositionstauglich ist.

Kein VP-Bundeskanzler, keine Harmonie

Als im April 1945 die ÖVP als Vereinigung dreier verschiedener sozialer Gruppen, des Österreichischen Wirtschaftsbundes (ÖWB), des Österreichischen Bauernbundes (ÖBB) und des Österreichischen Arbeiter- und Angestelltenbundes (ÖAAB), gegründet wurde und die Mitgliedschaft nicht direkt bei der Partei, sondern bei einem der Bünde erworben wurde, war die Dominanz der Bünde, welche im Rahmen der Partei weitgehend autonom agieren und auch als selbstständige Vereine eingetragen sind, von Anbeginn zementiert.

Solange die ÖVP den Bundeskanzler stellte und die Berufsschichtung der Bevölkerung in der bündischen Struktur ihre ideale Entsprechung fand, war die innerparteiliche Harmonie gewährleistet. Erste Dissonanzen machten sich schon in der ÖVP-Alleinregierung 1966–1970 bemerkbar. Bundeskanzler Klaus wählte seine Regierungsmannschaft zwar vorrangig nach sachlichen Kriterien aus, gleichzeitig musste er jedoch darauf achten, dass alle Bundesländer bzw. Landesparteiorganisationen und, ein noch gewichtigeres Kriterium, alle Bünde angemessen vertreten waren.

Der FPÖ-Abgeordnete Emil van Tongel höhnte, dass an die Stelle des schwarz-roten Proporzes nun der „Triporz“ der drei ÖVP-Bünde getreten sei. Dieser „Triporz“ machte sich überaus unangenehm bemerkbar, da die Bündekonflikte, vor allem bei den Budgetverhandlungen, oft bewusst in der Öffentlichkeit ausgetragen wurden. Karl Gruber, Staatssekretär im Bundeskanzleramt 1966–1969, bezeichnete in seinen Memoiren die ÖVP als „bündischen Haufen, aus dem immer ein Teil ausschert, wenn es an einer starken Autorität fehlt“. Die Wahlniederlage 1970 „war schließlich die Folge einer akuten Autoritätskrise“.

In den Jahren der Opposition 1970–1986 vervielfachten sich diese Disharmonien, da die Parteiobmänner nicht mehr im selben Maß wie bisher die diversen Interessen der Bünde zufriedenstellen konnten und sich enorm anstrengen mussten, um innerparteilich etwas durchsetzen zu können.

Auch die Parteireform 1972 änderte an der Macht der Bünde wenig. Zwar war nun auch ein direkter Beitritt zur ÖVP möglich, jedes Mitglied eines Bundes musste auch der ÖVP beitreten, doch wurden die Bünde nur in „Teilorganisationen“ umbenannt, sodass die ÖVP nun aus fünf Teilorganisationen bestand, da auch die Junge ÖVP und die Frauenbewegung als gleichwertige Organisation anerkannt wurden. 1977 kam der Österreichische Seniorenbund dazu.

Heinrich Drimmel, der für eine gänzliche Neuorganisation der ÖVP eingetreten war, kritisierte, diese Reform habe die bündische Gliederung noch verstärkt. Zudem besitzen die wichtigsten Bünde „Autoritäten, die nicht sie, sondern die Gesamtpartei haben müsste. Nämlich die Primärentscheidung bei der Auswahl der Funktionäre und Mandatare der Gesamtpartei, die Einhebung von Mitgliedsbeiträgen sowie die Kontrolle über finanziell ertragreiche Quellen und die Unabhängigkeit der Handhabung der Public Relations.“

Durch die Parteireform 1980 wurde der Vorrang der Gesamtpartei noch stärker betont, indem man künftig zuerst der ÖVP und dann erst, sofern gewünscht, der Teilorganisation beitreten sollte, doch blieb die Zahl der Direktmitglieder überschaubar. Weiterhin fühlten sich die ÖVP-Mitglieder in erster Linie ihrem Bund und nicht der Gesamtpartei zugehörig.

Reform braucht starken Parteiobmann

Für die ÖVP-Obmänner war es angesichts des Eigenlebens der Bünde und des selbstbewussten Auftretens ohne vorherige Abstimmung mit der ÖVP-Spitze nur mit großem persönlichen Einsatz, der zum Teil dramatische Substanzverluste an Leib und Leben der ÖVP-Obmänner zur Folge hatte, möglich, nach außen hin eine einigermaßen einheitliche Position zu vertreten. Zugute kam der ÖVP in der Opposition, dass es das Phänomen der Wechselwähler noch nicht gab und die Wähler sehr loyal waren.

Eine künftige Oppositionspartei ÖVP würde sich nicht darauf verlassen können, dass eine von bündischen Konflikten zerrissene Partei beim Wähler Anklang findet, an einer grundlegenden Partei- und Strukturreform würde kein Weg vorbeiführen. Da eine solche aber nur ein starker, unumstrittener Parteiobmann durchsetzen könnte, hat ein solches Unterfangen nur in Hochphasen Aussicht auf Erfolg. Wolfgang Schüssel hätte nach seinem Wahlsieg 2002 über die notwendige Autorität verfügt, der ÖVP eine zeitgemäße und vor allem oppositionstaugliche Struktur zu verpassen.

Dr. Gerald Stifter ist Historiker und Buchautor („Die ÖVP in der Ära Kreisky 1970–83“).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2008)

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