Low Speed: Längeres Studium für breiteren Horizont

(c) BilderBox (Erwin Wodicka)
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David Sternad ist 30 und will keine Bestzeit. Nach seinem anfänglichen Orientierungs-Lauf durchs Leben will er die Dinge ausführlich studieren und zusätzlich zum Diplom den „Mag. Lebenserfahrung“ machen.

"Ich nehme mir so viel Zeit, wie ich brauche.“ David Sternad ist 30 und studiert Psychologie in Wien. In Mindestzeit fertig zu werden war für den gebürtigen Grazer von Anfang an kein Muss. Voraussichtlich zu Weihnachten 2010 – nach dann 17 Semestern – will er sein Diplom machen.


„Ein paar Prüfungen und Seminare“ fehlen ihm noch. Für einen Interviewtermin hatte er fast keine Zeit, und das zeigt seine Konsequenz: Er lernt intensiv für seine nächste Klausur. „Mir war es immer wichtig, das, was ich mache, gut zu machen.“ Im Herbst 2009 will er in San Sebastián im spanischen Baskenland beginnen, über seine Diplomarbeit nachzudenken. „Ich finde, dass ich gar nicht so lange studiere. Es kommt ja nicht nur auf die Prüfungszeugnisse an, sondern vor allem darauf, was man gelernt hat.“


Bevor er 2002 sein Studium in Wien begann, war der leidenschaftliche Boarder Surflehrer auf den Malediven und arbeitete bei den Bavaria Filmstudios in München. Seinen ursprünglichen Berufswunsch, Kameramann zu werden, hat er im wenig abwechslungsreichen Alltag bei der Produktion einer Soap über das Leben in Hamburgs Rotlichtviertel St. Pauli verworfen. „Es gab dort keine künstlerische Perspektive“, erzählt Sternad. „Wenn du nur Sachen filmen musst, die du dir selber im Fernsehen nicht anschauen würdest, passt das nicht. Lustig war es nur, weil in jeder Folge ein Strip dabei war“, sagt Sternad in seiner schelmischen, aber authentischen Art. Das letzte Überbleibsel aus seiner Zeit beim Film ist sein heutiger Job: Im Votivkino verdient sich der 30-Jährige als Vorführer seinen Lebensunterhalt.
Die Erfüllung seiner vielseitigen Interessen war die Zeit in München aber nicht. Darum ging es für den Lebenskünstler aus Überzeugung im Herbst 2000 auch auf einen Fünfmonatstrip nach Südamerika. In Quito, Ecuadors Hauptstadt in der Höhenluft der Anden, entschloss er sich schließlich zu dem, was er immer schon im Hinterkopf hatte: Wenn er schon die Matura hat, sollte er auch studieren. So verschlug es ihn zurück nach Österreich. Er inskribierte im Fach Psychologie an der Uni Wien, weil ihn die Geistesauffassung fernöstlicher Kulturen interessierte. Dass sich die Inhalte im Studium im Nachhinein betrachtet wenig bis gar nicht mit den romantischen Vorstellungen des damals 23-Jährigen deckten, wischt er lächelnd vom Tisch: „Ich war halt auch einmal naiv.“

Tausche Karriere gegen Zufriedenheit


Nach der Diplomprüfung will er in einem „normalen Job“ Karriere nur auf seine Art machen: „Bei diesem Wort stellen sich bei mir eigentlich die Nackenhaare auf, weil es extrem mit gesellschaftlichen Vorstellungen besetzt ist.“ Karriereplanung im herkömmlichen Sinn hieße, sich danach auszurichten, was andere Menschen unter „Erfolg“ verstehen würden: Ansehen, Image, Reichtum. „Man sollte besser Dinge tun, hinter denen man selber steht.“ Sternads Karriere ist folglich nichts Zukünftiges, sondern die Summe seiner Vergangenheit. „Man lernt aus allen Dingen, die man tut.“ Seine jungen Studentenkollegen, die nach einem möglichst raschen Uni-Abschluss eifern, setzten ihre Prioritäten falsch und tun ihm sogar ein wenig leid. „Sie messen alles nur daran, was sie irgendwann erreichen wollen, und verpassen deshalb so manches.“ Ein breiteres soziales Umfeld, die Annehmlichkeiten des (studentischen) Lebens oder schlichtweg die Zeit, sich tiefer mit Wissensstoff auseinanderzusetzen, als es jemand von einem verlangt. Erst daraus könne man Lebenserfahrung, die schließlich von Akademikern ebenfalls erwartet würde, gewinnen. Soft Skills, die das Leben, nicht die Uni lehrt.


Seine Lebensplanung bringt ein längeres Studium nicht durcheinander. „So ein Plan kann maximal eine Art Anhalt sein, wie es laufen könnte.“ Sternad wolle sich kein Korsett verpassen und offen sein für Möglichkeiten, die sich ergeben. „Es geht mir um den Aspekt des Freiseins.“

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