Hamas-Aktivist: „Israel verkauft uns bis heute Waffen“

Ein hoher Hamas-Aktivist über die Motive seiner Bewegung, deren Verbündete und den Feind Israel.

Interview mit „Ali“, einem Imam in der Westbank, der Leute für die Hamas rekrutiert. Sein wahrer Name kann aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden.

Die Presse: Welche Position haben Sie in der Hamas?

Ali: Ich bin eine führende Person, ein Imam, ein Teil der Hamas.


Wie beschreiben Sie die Hamas?

Ali: Hamas ist wie eine Partei. Es ist keine Terrorgruppe. Hamas fing klein an und ihr Erfolg wurde aus dem Willen der Mitglieder gemacht, sich für den Glauben zu opfern. Bewaffneter Widerstand ist der letzte Weg. Das Hauptziel ist, den Palästinensern ihr Recht auf das Land zurückzugeben. Und warum verhandeln wir nicht mit Israel? Weil Israel nicht mit uns verhandelt. Aber Israel besitzt Palästina nicht. Hamas wird keinen Teil Palästinas hergeben, denn die nächsten Generationen werden die Hamas sonst beschuldigen, Palästina aufgegeben zu haben.

Wie tritt jemand der Hamas bei?

Ali:Man tritt der Hamas nicht bei. Es ist kein politischer Beginn, sondern ein religiöser – es startet in den Moscheen. Dort wird über den Koran gelehrt. Sobald ein Imam sieht, dass jemand qualifiziert ist, eine Gruppe zu leiten – aber nicht nur in politischer Hinsicht –, geht er zu der Person und spricht zu ihr. Wenn du Teil der Hamas bist, musst du über großes Wissen verfügen. Du musst die ganze Lehre des Koran kennen und genug Gottesvertrauen haben, um eine Gruppe zu leiten. Der Motor der Gruppe ist der Islam.

Wie funktioniert die Arbeit der Hamas?

Ali: Sobald einer Teil der Hamas ist, werden in der Moschee Treffen abgehalten. Wir sprechen über den Glauben, stärken das Vertrauen in den Koran. Wenn der Glaube genug gekräftigt wurde, entscheiden wir, was die Zielvorstellungen sind.

Was sind solche Zielvorstellungen?

Ali: Wir wollen wissen, wer der Feind ist. In diesem Fall ist es Israel. Die Arbeit der Hamas ist nicht gegen das Judentum gerichtet, sie richtet sich gegen den israelischen Zionismus. Die Hamas-Bewegung hat drei Zielsetzungen: Die erste ist „Dawa“, den Menschen die Lehre des Koran näherzubringen. Die zweite ist eine politische, die sucht die Gemeinschaft intern zu stärken. Die dritte ist ein militärisches Ziel, es richtet sich gegen die Besatzung. Jedes Mitglied ist auf ein Ziel spezialisiert.

Wie sind die Pläne des Widerstands gegen Israel?

Ali: Nach den Moscheen, die wie Colleges für den Islam sind, rekrutieren jene Verantwortlichen, die über dem Imam stehen, Personen für militärische Aktionen. Sie suchen Personen, die Glaube, Vertrauen und physische Stärke haben. Die Verantwortlichen bauen militärische Zellen auf, kleine bewaffnete Gruppen, die sich in der Westbank verteilen. Das gleiche geschieht in Gaza.

Wie groß sind diese Zellen?

Ali: Drei bis sieben Personen.

Wie wird weiter vorgegangen?

Ali: Die kleinen Zellen bekommen Aufträge von oben, von Personen in Gaza. Aber Hamas handelt nicht offensiv und attackiert: Hamas antwortet auf Attacken des Besatzers Israel. Hamas initiiert nicht. Als Israel begann, Zivilisten zu attackieren, fing auch Hamas als Reaktion darauf an, Zivilisten anzugreifen, da niemand Israel stoppen konnte. Die Idee war, dass durch Angriffe auf israelische Zivilisten Israel aufhören würde, palästinensische Zivilisten zu attackieren.

Woher hat die Hamas ihre Waffen?

Ali: Schmuggel, zum Beispiel aus Ägypten. Die Moslembrüder unterstützen die Hamas. Aber auch die Mafia in der israelischen Armee verkaufte uns Waffen während der Intifada. Das macht Israel bis heute. Es passiert öfter, dass israelische Soldaten lügen, dass sie ihre Waffen verloren haben. In Wahrheit verkaufen sie sie an die Hamas. Und Hamas nimmt sie, weil sie Waffen haben muss, da spielt es keine Rolle, von wem sie kommen. Die Hamas ist schlecht bewaffnet. Die Sprengkörper sind handgemacht, genauso die Qassam-Raketen.

Warum sollte ein Israeli Waffen an die Hamas weitergeben?

Ali: Israels Interesse ist es, dass Hamas gut bewaffnet ist, damit die Welt sieht, dass Hamas militärisch voll ausgestattet ist. Dazu sind zwei Sachen zu sagen: Erstens, Hamas weiß darüber Bescheid. Zweitens, Hamas hat eine schwache Armee. Die Stärke der Hamas ist die Loyalität ihrer Mitglieder. Sie würden die Armee nicht betrügen. Aber Israel macht die Presse, die Propaganda. Für alles, was passiert, hat Israel einen Sündenbock: Hamas. Israel tendiert zur Übertreibung, nur um zu zeigen, dass Hamas eine Terrorbewegung ist.


*Die Autorin ist freie Journalistin und Politologin an der Uni Innsbruck; ihr Forschungsschwerpunkt ist die Entstehung der Hamas.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2008)

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