Als Bernhard starb

Ein Quergedanke zum 20. Todestag.

Als vor zwanzig Jahren Thomas Bernhard starb, gab es noch einen Eisernen Vorhang, die Sowjetunion, eine Tschechoslowakei, ein Jugoslawien und zwei durch eine Mauer getrennte Deutschländer. Dafür war Österreich ein souveräner Staat, wenn auch mit einem Präsidenten, der wegen ungelöster Vergangenheit sechs Jahre lang zu Hause bleiben musste. Europa war ein ferner Kontinent. Das Kürzel EU kannte niemand; wenn, dann verwendete man meine Initialen EG. Aber auch die anderen Kontinente waren fern. Von Tschetschenen, Minaretten, Imamen wusste man nichts.

Im Gesamtwerk Bernhards kommt nicht eine einzige Dönerbude vor. Das World Trade Center gab es zwar, war aber ohne Bedeutung. Naturgemäß kommt das Wort Wellness nicht vor, aber auch Worst-Case-Szenario nicht. Als Thomas Bernhard starb, gab es weder Google noch Wikipedia, weder E-Mails noch Homepages, weder Chatrooms noch Internet. Damals redeten die Menschen noch persönlich aneinander vorbei. Auch der poetische Kapitalismus existierte noch nicht. Thomas Bernhard war zu Lebzeiten kaum einmal auf der Bestsellerliste. Schlecht war die Welt aber schon damals. Außer „Lebensmenschen“ gab es übrigens auch noch „Geistesmenschen“, hauptsächlich aber doch „Voralpenschwachdenker“ und vor allem „Grenzdebile“. Das waren Zeiten! Heute weiß ja kaum noch jemand, was ein Grenzdebiler überhaupt ist.

Doch nur ein Halbstarker ...

In „Heldenplatz“, dem Stück, das die österreichische Öffentlichkeit das ganze letzte Jahr vor Bernhards Tod beschäftigt hat, heißt es, die Österreicher suchten einen starken Mann. Der werde kommen und Österreich endgültig in den Abgrund hinunterstoßen. An wen immer Sie gedacht haben mögen, lieber Herr Bernhard, letztlich war der starke Mann doch nur ein Halbstarker.

In seinem Testament hatte Bernhard verfügt, dass nichts aus seinem Nachlass veröffentlicht werden darf – und die Nachlassverwalter haben sich nach anfänglichem Zögern immer ungenierter über das testamentarische Verbot hinweggesetzt. Jede Einmischung dieses Österreichs oder wie immer es sich kennzeichnet ihn und sein Werk betreffend hat sich Bernhard rigoros verbeten. Schwer zu sagen, ob dieser Teil des Testaments beherzigt worden ist. Österreich kennzeichnet sich zwar noch so, hat aber mit Österreich nicht mehr viel zu tun.

Egyd Gstättner studierte Germanistik und Philosophie und lebt als freier Schriftsteller in Klagenfurt.


meinung@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2009)

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