Migration oder Menschenhandel

Österreich kämpft – wogegen eigentlich?

Grace war gerade 19 Jahre alt, als ihr ein enger Vertrauter der Familie in Benin City, Südnigeria, das verlockende Angebot unterbreitete, Papiere, Transport und eine Karriere als Handballerin in Europa zu organisieren. Kurz darauf saß sie im Flugzeug, mit gefälschten Papieren, und landete über Umwege in Wien. Es war keine Karriere als Sportlerin, die auf sie wartete, sondern die Arbeit in der Zwangsprostitution. Ihre Weigerung, als Sexsklavin am europäischen Straßenstrich eine Summe von 45.000 Euro sogenannter „Reiseschulden“ abzuarbeiten, kam ihr und ihrer Familie in Nigeria teuer zu stehen.

Als Innenministerin Fekter, einige ihrer europäischen Kollegen und Kolleginnen sowie Mitarbeiter der IOM und OSZE, Europol und BKA am Montag ihr Projekt zur Erarbeitung von Richtlinien für das Sammeln von Daten zum Menschenhandel und für bessere „Täter- und Opferprofile“ präsentierten, blieb ein schaler Nachgeschmack übrig. Es sollen nun also EU-weit unter österreichischer Federführung Zahlen gesammelt, Statistiken erstellt und Profile erarbeitet werden, angeblich, um die moderne Sklaverei zu bekämpfen. Den Betroffenen wird dadurch, dass sie gezählt werden, definitiv nicht geholfen.

Gewalt gegen die Opfer

Die Frage ist, ob Europa mit dieser „neuen“ Maßnahme Menschenhandel oder viel eher Migration aus dem Süden und dem Osten stoppen will. Entlarvend ist hierbei, dass die Ministerin kein Wort über jene dringend anstehenden und seit Jahrzehnten geforderten Maßnahmen verlor, die strukturelle und individuelle Gewalt gegen die Betroffenen effektiv verhindern würden. Es geht um Frauen, Männer und Kinder, die als Zwangsarbeiter in Fabriken, Bordellen, Haushalten, Ehen, im Organhandel und in anderen Formen des Menschenhandels ausgebeutet werden.

Um den Betroffenen rasch, nachhaltig und präventiv zu helfen, müsste zu allererst der Opferschutz verbessert werden. Ohne entsprechenden staatlichen Schutz sind die allerwenigsten Opfer bereit, eine Aussage vor Gericht zu riskieren. Auch im Bereich der Korruption an österreichischen und anderen europäischen Botschaften in den Herkunftsländern stehen dringend Reformen an, Stichwort Visa-Skandal. Weiters wird das florierende Business Menschenhandel anwachsen, solange es nicht ausreichend legale Möglichkeiten gibt, nach Europa zu migrieren, ohne auf die Menschenhandels-Mafia und ihre korrupten europäischen Handlanger zurückgreifen zu müssen. Und letztendlich werden Frau Minister Fekter und ihre Kollegen nicht umhinkommen, sich mit der Nachfrage am Markt der Ware Mensch, dem Rassismus der Nutznießer, der wirtschaftlichen Ausbeutung der Herkunftsländer auseinanderzusetzen. Doch von all dem war in den jüngsten Ankündigungen im „Kampf gegen den Menschenhandel“ kein Wort zu hören.

Grace, in Wien im Jahr 2000 gelandet, hat ihre Geschichte vor Jahren den österreichischen Asylbehörden erzählt. Bis heute wird sie von ihrer Zuhälterin drangsaliert. Ihr Bruder in Nigeria wurde angeschossen. Er überlebte und versteckt sich seither in der Megacity Lagos. Ihre Schwester in Benin City wird permanent bedroht. Das Haus ihres Großvaters wurde zerstört, er starb kurz darauf an einem Herzinfarkt. Doch Österreich schaut weg: Graces Asylantrag wurde immer noch nicht beschieden, ihr Schicksal ist unentschieden. Sie wird vom Verein Exit betreut, dessen Gründerin Joana Adesuwa Reiterer und ihre Mitarbeiterinnen auf rein ehrenamtlicher Basis ihr Bestes geben. Staatliche Basisfinanzierung gibt es für Exit nicht. Auch hier wird deutlich, wo es realen Änderungsbedarf gäbe, läge der Fokus auf den Opfern, und nicht auf der Bekämpfung illegaler Einwanderung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2009)

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