„Havel verbündete sich mit KP“

Ján Budaj, slowakische Galionsfigur der 89er-Wende, verzeiht Havel nicht, dass er sich von Kommunisten wählen ließ. Dies habe die Tschechoslowakei gespalten.

Bratislava. Im November 1989 blickte die Welt gebannt auf Prag und auf Václav Havel. Doch der slowakische Landesteil hatte seine eigene Bürgerbewegung: Umweltaktivist Ján Budaj stieg vom Polithäftling zur Symbolfigur der Wende auf. Gemeinsam mit dem Schauspieler Milan Kňažko war er Wortführer der Großdemonstrationen gegen das kommunistische Regime.

Die Presse: In Bratislava konnte man anders als in Prag Westfernsehen aus Österreich empfangen. Haben Sie daher erwartet, dass die Tschechoslowakei bald dem Beispiel von Polen, Ungarn und dann der DDR folgen wird?

Ján Budaj: Diese Wendekalendarien, die man jetzt überall veröffentlicht, sind irreführend, weil sie für 1989 den Eindruck einer logischen Abfolge von friedlichen Revolutionen erwecken. Zwar gab es schon früh die Öffnungen in Polen und Ungarn, aber in anderen Teilen der kommunistischen Welt war 1989 sogar ein Jahr der besonderen Brutalität. Denken Sie nur an das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking! Die Bilder davon sahen die Bewohner Bratislavas am selben Tag, als in Polen die ersten halb freien Wahlen stattfanden.

Und wie reihte sich das tschechoslowakische KP-Regime ein?

Noch im November gehörte die Führung der Tschechoslowakei zur Gruppe der besonders restriktiven Regime – mit jenem in Rumänien, das sich dann blutig gegen die Entmachtung wehrte oder jenem Nordkoreas, das wie das kubanische bis heute noch nicht weicht.

Trotz Gorbatschow hatten Sie also noch zu befürchten, dass die Demokratiebewegung wie 1968 niedergeschlagen würde?

Der 17.November1989 brachte zwar keine Toten, aber Blut ist bei den Polizeiangriffen auf die Demonstranten noch genug geflossen. Gorbatschow hat zwar eine von unseren Diktatoren erhoffte Militärinvasion abgelehnt, aber eine eigene Militäraktion war jedem Regime freigestellt. In der Slowakei gab es politische Prozesse bis zum Schluss. Die „Bratislava-fünf“ (darunter Ján Čarnogurský, später tschechoslowakischer Vizepremier und slowakischer Premier; Anm.) wurden erst unter dem Druck unserer Demos freigelassen.

Václav Havel wurde im Westen als Symbolfigur verehrt, in der Slowakei sah man ihn stets kritischer. Warum?

Der Weg von Václav Havel hat direkt zur Teilung der Tschechoslowakei geführt. Das begann vor allem damit, dass er ohne Wissen und gegen den Willen der slowakischen Bürgerrechtsbewegung eine Vereinbarung mit den Kommunisten getroffen hatte, die unserem antikommunistischen Konsens den Todesstoß versetzte: Das noch kommunistisch dominierte Parlament wählte ihn im Dezember 1989 zum tschechoslowakischen Präsidenten, er verzichtete dafür auf die Säuberung des Staatsapparats von kommunistischen Kadern.

Er war auf Aussöhnung bedacht.

Diesen Handel unter Umgehung der slowakischen Partner verzeihe nicht nur ich ihm bis heute nicht. Der Preis für die Wahl Havels war hoch: Er wurde Präsident einer Republik, deren Wende unvollendet blieb und die auf das Auseinanderbrechen zusteuerte. Die Elite des slowakischen Landesteils traute dem Prager Zentralismus nicht mehr. Sie verlangte deshalb eine Verfassung, die das Verhältnis beider Landesteile klar regelte. Dass es darüber nie eine Einigung gab, führte zur Teilung des Staates. So ist der Staat am gegenseitigen Misstrauen der Eliten zerbrochen, ohne dass das Volk befragt wurde.

ZUR PERSON

Ján Budaj (62 J.), ein Umweltschützer, führte 1989 die Wende-Demos in Bratislava an, wo er zuletzt Vizebürgermeister (2010–2014) war. [ Thanei ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2014)

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