Beserl, gut in Form

Wien-Neubau, Bernardgasse 23: Bis heute ist, was hier teils schon vor Jahrzehnten erdacht wurde, noch in Gebrauch, hierzulande und andernorts – Schirmständer und Aschenbecher, Bestecke und Glasserien. Carl Auböck, Designer und Architekt, 1924 bis 1993: eine Erinnerung.

Früher hieß die Gegend Brillantengrund, zuerst nur im Volksmund, bald auch in der offiziellen Stadtverwaltung. Auf engstem Raum wurde in den Manufakturen rund um die Uhr gearbeitet, gelebt, gewohnt. Schliffen die Einwanderer aus Gablonz in den künstlich beleuchteten Kellern die Lusterbrillanten, so erzeugten im Erdgeschoß die Gürtler die dazugehörigen Messing-Bronze-Konstruktionen. Luster-Gürtler wurden sie genannt. „Hier ist es wie an einem Korallenriff“, sagt Maria Auböck, kaum dass sich die Ateliertür ihres mit János Kárász betriebenen Landschaftsarchitekturbüros in der Bernardgasse 21 geschlossen hat. „Noch lange konnte man hier in der Gasse im Boden Brillantensplitter finden, in den Kellern glitzerte und funkelte es.“

Seit Generationen hat Familie Auböck in der Bernardgasse ihren Lebens- und Arbeitsmittelpunkt. In den Erzählungen der heute hier lebenden und arbeitenden Generation taucht die Vergangenheit in einer eigentümlich lebendigen Nähe auf, wird das Gegenwärtige gedacht als Verhältnis zu einer Tradition von Materialien und Formen, kulturellem Anspruch und ästhetischer Verantwortung. „Bernardgasse 23 hat den größten Garten. Hier war die Werkstätte der Urgroßeltern. Jede Generation schafft sich hier ihre eigenen Räume“, fährt Maria Auböck fort. 1900 eröffnete in der Bernardgasse 23 der Gürtlerbetrieb, davor war die Familie der Großmutter, geborene Ritter, schon vier Generationen im Goldschmiedgewerbe tätig gewesen. In Karl Heinrich Auböcks Gürtlerwerkstätte wurden Tierskulpturen aus Bronze erzeugt – wie die Adler auf den Obelisken vor Schloss Schönbrunn.

Von diesem Urgroßvater ist im Archiv der Werkstätte heute nichts mehr erhalten, von den folgenden Generationen knapp 4500 Gegenstände, Fotos, Pläne, Dias, Mappen, Zeitschriften, Archivbücher. Heute gibt es den Namen Carl Auböck bereits in der fünften Generation.

„Gehen wir hinauf zu meinem Bruder.“ Im zweiten Stock befindet sich das Atelier des Architekten Carl Auböck, Jahrgang 1954, der viele Jahre mit seinem Vater gemeinsam gearbeitet hat. Im Vorzimmer hängen Bilder, die der Großvater Carl Auböck während seiner Bauhaus-Zeit in Weimar gemalt hat, wohin er seinem Wiener Lehrer, Johannes Itten, gefolgt war. Auch seine Frau, die aus Bulgarien stammende Mara Uckunowa, studierte in Weimar. „Er in seinem Tweed und sie in ihrem Turban“, so beschreibt Carl Auböck junior die Generation der Großeltern als exotisch fremde Wesen einer Boheme, die den Nachbarn höchst seltsam vorkam. Umso mehr entstand in der geselligen Isolation der eigenen vier Wände von Werkstätte und Wohnhaus eine intensive kreative Gegenwelt.

In dieser geschützten Insel des Alternativen wuchs sein Vater, der 1924 geborene Carl Auböck auf. Hier wurde vegetarisch gekocht und Gymnastik betrieben, wurden Kleider selbst entworfen und genäht, wurden Übungen fürs Training beider Gehirnhälften gemacht, aber auch die Fertigkeiten des Ziselierens, Treibens, Bohrens, Biegens, Trennens, Fügens, Spanabhebens, Veredelns gelernt. Der Großvater hat in der Werkstätte gelebt, das Malen war seine Gegenwelt, während der genuine Arbeitsort des Vaters das Atelier war, in dem er seinen Wissensschatz über das Material in den Entwurf einfließen ließ. Umsatz und Kreativität, Wirtschaftlichkeit und Innovation mussten in der Werkstätte zusammenstimmen. Nicht dem platten Nimbus des Künstlerdesigners wurde hier gehuldigt, sondern dem Ethos der Werkstätte. „Gürtler sind keine Serienanfertiger, sie sind Werkzeugmacher, Erfinder, Materialspezialisten und Neudenker“, so Carl Auböck junior. Bis heute sind viele der Objekte aus dieser Ideenwerkstätte in Wien, aber auch in anderen Ländern im täglichen Gebrauch. Als das Historische Museum der Stadt Wien, das heutige Wien Museum, 1997 eine Ausstellung über die Arbeiten des Großvaters Carl Auböck zeigte, war das Echo enorm. Die Besitzer und Besitzerinnen dieser typisch Wiener Wohnkultur entdeckten ihre Schirmständer, Aschenbecher oder Kaminbestecke wieder. Werkstätte und Musterzimmer: Bernardgasse 23 war eine nachgefragte Adresse, auch heute läutet noch manchmal eine Kundin, doch die meisten Partner, Galerien und Geschäfte in Übersee stellen ihre Kontakte über das Internet her.

Nach der Schulzeit in der Neustiftgasse und dem traumatisierenden Fronteinsatz im Kaukasus während des Zweiten Weltkriegs, begann Vater Carl Auböck 19-jährig an der Technischen Universität Wien zu studieren. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg war Wien eine von internationalen Informationsströmen abgeschlossene Zone, kulturelle und intellektuelle Defizite waren hoch. Aus der Isolation, der dumpfen, miefigen, antiintellektuellen und beklemmenden Enge dieses Wiens brach Auböck aus. Erstes Zeichen dieser Aufbruchssehnsucht in die Moderne waren die Räume der Galerie Würthle, die Auböck mit Ferry Kitt entwarf. Derselbe Sehnsuchtsmotor Moderne bewog Auböck 1951 der Österreich-Gruppe der Congrès Internationaux d'Architecture Moderne beizutreten.

Ein Jahr später ging er mit einem Fulbright-Stipendium in die USA, wo er am Massachusetts Institute of Technology in Boston studierte; dort lernte er die Arbeiten von Charles und Ray Eames kennen, verbrachte sogar einige Tage in ihrem Haus. In den USA hatte er auch die Chance, sein erstes eigenes Bauwerk zu realisieren, das Einfamilienhaus Gallet für seine Tante Valy, die mit ihrer Familie nach Pennsylvania zwangsemigriert war. Zwischen dem Ideal ungeahnter Möglichkeiten und offener Toleranz in den USA und dem nachkriegserschütterten, wiederaufbaugetriebenen Wien entschied sich Auböck für die Rückkehr in die Bernardgasse, blieb aber den USA verbunden und realisierte 1957 mit Eduard Sekler den Umbau des österreichischen Kulturinstituts in New York. Die Amerikareise war eine Initiationserfahrung, die die Nachkriegsarchitektengeneration prägen sollte. Für viele war es eine Pilgerreise in die Moderne, in die Offenheit und die industrielle Inspiration. Einige Jahre nach Carl Auböck sollten Hans Hollein, Ottokar Uhl, Wilhelm Holzbauer, Harry Glück und Carl Pruscha diese Reise antreten. „Von diesen Auslandsmonaten hat er viele Dinge mitgebracht, die Vorfertigung, die Serienfertigung, das industrielle Design, das, was damals in Wien noch Barackenbau genannt wurde“, so Maria Auböck. In der Fertigteilmustersiedlung Veitingergasse im 13. Bezirk, die er mit Roland Rainer plante, wurde dieser von den Erfahrungen in den USA inspirierte, aber auch an die Traditionslinie der Wiener Siedlungsbewegung anknüpfende Holzfertigteilbau in höchster Perfektion ausgeführt.

Den Sieg der Moderne verkörperte auch der von Karl Schwanzer entworfene Weltausstellungspavillon in Brüssel 1958, ein nicht zu unterschätzendes Kristallisationsmoment der Identitätsfindung Österreichs nach dem Zweiten Weltkrieg. In diesem Pavillon war Auböck unter anderem mit seinem Besteck # 2060 von Amboss vertreten. Im selben Jahr arbeiteten Auböck, Rössler und Hoch an dem Wohnbau Vorgartenstraße, einem in seiner stringenten Raumprogrammatik und Bauqualität bis heute herausragenden Gemeindebau.

Die moderne Strenge brachte Paradigmen- und Materialwechsel in der Werkstätte. Auböck realisierte aber auch Planungsaufträge, die formal innovativ waren und Patente eröffneten, wie die Tyrolia-Skibindung 1962–1968, das Mikroskop von 1963 sowie Arbeiten für das Neuzeughammer Amboss-Werk. Auböcks Œuvre ist so vielteilig wie vielfältig: Die gute Form prägte Schaufel und Beserl, Martinikrug, Salatbesteck oder Aktenkoffer, von Modeentwürfen über Wohnsiedlungen und Einfamilienhäuser bis zu Geschäftsgestaltungen. Dieser hohe Anspruch an die Alltagskultur wurde im Haus in der Bernardgasse gelebt, nicht nur im Musterzimmer gezeigt.

In den lokalen Architekturzirkeln war Auböck kaum präsent, er engagierte sich international, war von 1973 bis 1976 Präsident des International Council of Societies of Industrial Design, war langjähriger Beauftragter der Unido, wo er in Schwellenländern in monatelangen Aufenthalten gemeinsam mit lokalen Designschulen und Industrien Leitfäden für Industriedesign entwickelte. Ab 1976 plante Auböck mit Wilhelm Kleyhons die 400 Wohnungen der Per-Albin-Hansson-Siedlung Ost. Höchste Dichte, Monotonie, der Druck der Ökonomie bestimmten die Realisierung. Die Per-Albin-Hansson-Siedlung wurde zum Synonym für die Irrtümer der Überrationalisierung der Moderne, 1989 war die Siedlung Tatort einer Reihe von Kriminalfällen. Auböck stellte sich damals den Anschuldigungen und heftigen Diskussionen in den Mieterversammlungen. Danach trat er als Architekt mit kleineren Dimensionen in Erscheinung, leitete jedoch mit Engagement die Meisterklasse für Produktgestaltung Metall an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien.

„Die Medienlawine hat er nie bedient“, betont Maria Auböck. Erst viele Jahre nach seinem Tod, 1993, liegt nun eine erste umfassende Monografie vor. Marion Kuzmany, die als Mitherausgeberin fungiert und bei Auböck in der Metallklasse studiert hat, beschreibt ihn als einen, dem nie etwas zuviel war, der die Gesamtheitlichkeit des Entwurfsansatzes auf die Lebensroutinen übertrug, aufstand, Objekte entwarf, auf die Hochschule eilte, ins Ausland flog, eine Rede hielt, ständig unterwegs war. Immer ging es darum, auf die Massenkultur durch die Intelligenz des Designs Einfluss zu nehmen. Als intelligentes Design begriff Auböck dieses Gestalten, das das Durchgedachte an die Oberfläche bringt, aber niemals oberflächlich wird. Im Design ist Auböck bis zum Schluss ein Moderner mit ganzheitlichem kulturellem Anspruch geblieben. ■

CARL AUBÖCK: Buchpräsentation

Die erste Monografie zum vielfältigen Schaffen Carl Auböcks (1924–1993)
erscheint Ende März im Pustet Verlag, Salzburg: „Carl Auböck, Architekt – Design for Modern Living“, herausgegeben von Marion Kuzmany gemeinsam mit dem Carl-Auböck-Archiv (288S., geb., €39).

Präsentiert wird der Band am 25. März im Ausstellungszentrum Heiligenkreuzerhof in Wien (Schönlaterngasse 5), wo auch Originale aus dem Auböck-Archiv zu sehen sind. Beginn 18 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2009)

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