Warten auf die nächste Mondlandung

In Österreich mangelt es nicht nur an der Absicht, Drogenkonsumräume einzurichten, sondern schon allein an der Bereitschaft, das Thema sachlich und offen zu diskutieren.

Graz tut das, was andere nicht einmal fundiert diskutieren wollen: den ersten Drogenkonsumraum Österreichs einrichten. Den jahrelangen Bemühungen, die dieser positiven Entwicklung in Graz vorangingen, kann nicht genug Respekt gezollt werden. Und wenn der Streetworker und Leiter des Grazer Kontaktladens Nibaldo Vargas diesbezüglich von einer „Mondlandung“ spricht, dann ist dies nur eine höfliche Untertreibung.

Doch trotz dieser Mondlandung in Graz bleibt es (zumindest vorläufig) bei einem herben Nachgeschmack für andere Städte: Bundesweit nämlich mangelt es nicht nur an der Absicht, weitere Konsumräume einzurichten, sondern es mangelt schon allein an der Bereitschaft, das Thema sachlich und offen zu diskutieren. Viele politische Entscheidungsträger scheinen zu sehr damit beschäftigt zu sein, Dämonisierung einerseits und Verharmlosung der Probleme andererseits zu betreiben.

Wenn zum Beispiel der Wiener Drogenkoordinator Michael Dressel Konsumräume pauschal als „nicht notwendig“ erachtet, dann spricht er jedenfalls nicht für die betroffenen Suchtkranken, die Sozialarbeiter und die Anrainer – er spricht ausschließlich für eine Politik, die sowohl vor drogenpolitischen Innovationen als auch vor der hetzerischen Panikmache einiger politischer Gesinnungsgemeinschaften kapituliert. Ein so sensibles Thema dadurch zu einem Spielball parteipolitischer Interessen zu machen (vielleicht auch, weil die nächsten Wahlen bereits ihre langen Schatten vorauswerfen) ist unwürdig und verantwortungslos.

„Leidige“ Konsumräume

Allein die Tatsache, Konsumräume als Innovation bezeichnen zu müssen, muss Kopfzerbrechen bereiten. Für Österreich ist diese Bezeichnung (leider) noch immer zutreffend. Im europäischen Vergleich aber wirkt der Gebrauch von „Innovation+ Konsumraum“ nahezu absurd und das parteipolitische Hickhack, das hierzulande bei jedem Anlauf bezüglich der Einrichtung dieser schadensminimierenden Maßnahme entsteht, niederschmetternd regressiv. Längst dreht es sich auf dem Mond, pardon, in Österreich, nicht mehr um die Sache an sich, sondern lediglich noch darum, die „leidigen“ Konsumräume – trotz zahlloser positiver nationaler und internationaler Expertisen – so lange auf den Tagesordnungen diverser Ausschüsse und Kommissionen hin- und herzuschieben, anzudiskutieren und dann wieder zu vertagen, bis das Thema gekillt wurde. Demnach erwiesen sich bisher also lediglich Tagesordnungen als geduldige und treue Begleiter von Konsumräumen, ja, wenn da jetzt in Graz nicht eine Mondlandung vonstatten gehen würde...

Jetzt ist es an der Zeit, die bundesweite Einrichtung von Konsumräumen konkret zu diskutieren, Konsumräume nicht als Allheilmittel zu begreifen, sondern als eine sinnvolle Maßnahme eines drogenpolitischen Gesamtkonzepts. Und bei allen positiven Effekten, die Konsumräume für die Betroffenen, aber auch für Sozialarbeiter, Anrainer und Passanten im öffentlichen Raum haben, ebenso ehrlich über Risken zu sprechen und umfassend Aufklärungsarbeit zu leisten.

Solch eine Diskussion verlangt aber zwei sehr naiv klingende und dadurch umso schwierigere Dinge, die fast schon einer Mondlandung gleichkommen: Aufseiten der Entscheidungsträger müsste parteipolitisches Kalkül endlich hintangestellt werden. Und es würde verlangen, sich mit den erschütternden Lebensrealitäten suchtkranker Menschen respektvoll und ohne falsche Scheu auseinanderzusetzen.

Erschütternde Lebensrealitäten

Die Optimistin in mir hofft ja, dass Graz Anlass dafür ist, bundesweit einheitliche gesetzliche Grundlagen für die Einrichtung von Konsumräumen zu schaffen. Die Pessimistin in mir aber befürchtet, dass die Betroffenen in Wien, Innsbruck, Linz und vielen anderen Städten noch lange auf Konsumräume zu warten haben. Vermutlich deshalb, weil Vertreter aller Parteien diese gerade in einem neu eingerichteten Unterausschuss diskutieren oder einfach nur Angst davor haben, Teile ihrer Wählerschaft zu vergraulen. In diesem Sinne heißt es also warten – auf die nächste Mondlandung.

Heidi Cammerlander ist seit 2005 Gemeinderätin der Grünen in Wien.


meinung@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2009)

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