Islamgesetz: Es geht um mehr als ein Gesetz

Vieles spricht dafür, dass es bei der Kampagne gegen das geplante neue Islamgesetz letztlich um eine Abrechnung mit westlichen Wertvorstellungen geht. Hintermänner und Drahtzieher der Kampagne agieren von außen.

Die Veröffentlichung des Entwurfs zum Islamgesetz hat innerhalb der muslimischen Gemeinschaft eine unglaublich lebhafte Debatte ausgelöst, die sich wesentlich um die Frage dreht, ob dieses Gesetz – abgesehen davon, dass es die Beschäftigung von Imamen aus dem Ausland erschwert – nicht überhaupt ein Angriff auf die Zukunft des Islam sei; dass es ein Gesetz sei, das den Staat ermächtige, Moscheen willkürlich zu verbieten, deute jedenfalls darauf hin.

Nun ist es einerseits gewiss ein positives Zeichen ihrer demokratischen Partizipationsfähigkeit, dass die Muslime eine solche Debatte so offen und unter derart hoher Beteiligung führen. Zugleich gibt es jedoch Hinweise darauf, dass diese Debatte ein Interesse bedient, das zwar von österreichischen Protagonisten vorgetragen wird, das aber nicht von ihnen formuliert wurde.

Die Zusammenhänge sind mit einer oberflächlichen journalistischen Herangehensweise gewiss nicht leicht zu durchschauen. Denn zu gut beherrschen die Akteure der international bestens vernetzten Organisationen den Umgang mit modernen Medien.

Kampf gegen den Westen

So wird erst bei näherem Hinsehen klar, dass es bei dieser Kampagne – mit tatkräftiger Unterstützung von in Österreich vertretenen türkisch- und arabischsprachigen Medien – um die Fortsetzung eines von den Akteuren des politischen Islam geführten Kampfes gegen den Westen geht, dessen Anfänge bis ins 19.Jahrhundert zurückreichen und der sich des Islamgesetzes lediglich als eines Vehikels bedient. Nachstehend der Versuch, die theoretischen und praktischen Hintergründe dieses Kampfes zu erhellen.

Eine in Österreich erscheinende türkischsprachige Zeitung fasst die Haltung der Muslime im Titel zu einem Artikel in dem Satz zusammen: „Wir wollen keinen Islam mit österreichischer Prägung.“ So lautet auch die Botschaft einer Jugendorganisation, deren Anliegen vorgeblich die Stärkung der österreichischen Identität ihrer Mitglieder ist: Nein zu einem Islam mit österreichischer Prägung! Und so tönt es auch in dem über sämtliche islamischen Länder verzweigten muslimischen Netzwerke – gerade so, als würde durch das Islamgesetz eine in Österreich seit jeher bestehende latente Islamophobie nun staatlich institutionalisiert.

Die Vermarktung dieser antiwestlichen Ressentiments mittels des unaufhörlich vorgetragenen Verweises auf eine im Westen grassierende Islamophobie liegt national und international überwiegend – wenn nicht sogar ausschließlich – in den Händen diverser der Muslimbruderschaft oder der AKP nahestehender Medien. So auch im Fall einer englischsprachigen AKP-Zeitung, in der sich ein Muslimbruder-Aktivist darüber ereifert, dass in Österreich aus purer Islamfeindlichkeit ein Gesetz verabschiedet worden sei, das den Hass auf die Muslime offiziell etabliere.

Erstaunliche Vorwürfe

Nicht weniger vehement behaupten Verfechter des politischen Islam, der staatliche Eingriff gefährde die Zukunft des Islam – ein angesichts des Umstands, dass die finanzielle Unterstützung des Staates für muslimische Organisationen durchaus geschätzt wird, doch ziemlich erstaunlicher Vorwurf. Vieles spricht also dafür, dass hinter der Ablehnung des Islamgesetzes eigentlich eine grundsätzliche Abrechnung mit westlichen Wertvorstellungen steht: Wie sonst ließe sich der Widerspruch erklären, dass muslimische Organisationen auf der einen Seite den angeblichen Einfluss des österreichischen Staates beklagen, auf der anderen Seite aber die Einmischung und finanzielle Förderung aus dem Ausland als existenzielle Grundvoraussetzung erachten?

Wie sonst ließe sich begründen, dass man die österreichische Prägung des Islam ablehnt, aber gleichzeitig darauf besteht, dass aus dem Ausland Imame, die eigene theologische Prägung aus ihren Ländern mitbringen, rekrutiert werden?

Wie kann man die vielen jungen, zumeist akademisch gebildeten Aktivisten verstehen, die durch eine von alten Männern aus Katar üppig dotierte und verwaltete Stiftung finanziert werden, die ihren Widerstand gegen das Islamgesetz ausgerechnet als Kampf der Generationen verstanden wissen wollen? All dies lässt sich eben nicht anders erklären, als dass eine österreichische Prägung des Islam mit allen Mitteln verhindert und ein Islam am Rand der Gesellschaft als eine Art Kolonie für ausländische Interessen geschützt werden soll, die im Bedarfsfall für deren Wahrnehmung mobilisiert werden kann.

Sektenähnliche Verhältnisse

Diesem Zweck würde ein sich mehr oder weniger außerhalb der Gesellschaft betätigender Islam mehr gerecht als einer, der in ihrer Mitte angesiedelt ist. Das Verhältnis zur Mehrheitsgesellschaft soll durch gut geschulte Aktivisten derart gestaltet werden, dass in den Medien und in der Öffentlichkeit das Bild der Muslime als beklagenswerte, defensive Opfer hochgehalten und die kritische Hinterfragung einer Theologie, die auf Fragen der Gegenwart längst keine Antworten mehr hat, unterbunden wird. Sektenähnliche Verhältnisse innerhalb bestimmter Organisationen trüben selbst vielen jungen, wohlmeinenden Menschen den Blick auf die wahren Machenschaften und ihre Drahtzieher.

So werden junge Menschen leichte Beute internationaler Organisationen, die ihren Existenzgrund allein aus der Konfrontation mit dem Westen beziehen, die es ihnen dann auch erlaubt, ihre Kader zu rekrutieren. Diesbezüglich ist es offensichtlich, dass ein junger Mensch, der durch diese Ideologie so weit geistig entmündigt und theologisch versklavt ist, dass er an der Front in Syrien gegen die „westlichen Kolonialisten“ kämpft oder im Westen den wahren Islam zu verteidigen glaubt, ein Opfer der politischen und militärischen Interessen dieser Organisationen ist.

Die Lehre für die Politik

Die Politik könnte an dieser Stelle die Lehre ziehen, dass jegliche Beschwichtigung, das Verhältnis zwischen Staat und Muslimen betreffend, jeglicher Grundlage entbehrt, weil dieses Verhältnis von Misstrauen und gegenseitigen Verdächtigungen geprägt ist. Wäre dem nicht so, würden Muslime dieser hysterischen Propaganda, dass in Österreich eine flächendeckende Schließung von Moscheen bevorstehe, keinen Glauben schenken.

Das Verhältnis des Staates den Muslimen gegenüber sollte grundsätzlich neu gedacht werden. Und zwar unter dem Aspekt, nicht mehr bestimmten Organisationen den Alleinvertretungsanspruch für alle Muslime zuzugestehen und dabei auf fatale Weise die Verbindung zur breiten Mehrheit der Muslime zu verlieren.

So könnte sich dieses Gesetz, in der Absicht, den Islam im Einklang mit österreichischen Verhältnissen und unter Berücksichtigung der Belange der Muslime zu institutionalisieren und zu prägen, als Chance für einen Neuanfang, wenn nicht gar als Befreiung des Islam vom Zugriff und dem Diktat ausländischer Interessen erweisen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR




Ednan Aslan
(* 1959 in Bayburt, Türkei) studierte ab 1980 Sozialpädagogik, Politikwissenschaften und Pädagogik in Esslingen, Tübingen, Stuttgart, Klagenfurt und Wien. Seit 2008 Universitätsprofessor für islamische Religionspädagogik am Institut für Bildungswissenschaften der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind u.a.: Islam in Europa, Theorie der islamischen Erziehung. [ Jenis]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2014)

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