Bitte lesen Sie– und hören Sie nicht damit auf

In den 1990ern dachte ich noch, ich würde mein Leben lang von meiner Arbeit an Büchern leben. Das glaube ich heute nicht mehr.

Ich fahre in der U-Bahn. Es ist irgendwann in den späten Neunzigern des vorigen Jahrhunderts (wie das klingt!). Fast alle haben ein Buch in der Hand. Es finden sich Klassiker, aktuelle Bestseller (was war damals eigentlich auf den Bestsellerlisten?), etwas für die leichte Muse, schwere Literatur für Intellektuelle.

Zeitsprung.

Ich fahre in der U-Bahn. Es ist heute. Niemand hat ein Buch in der Hand. (Ich war verleitet, „fast niemand“ zu schreiben, aber es wäre gelogen.) Auch kein E-Book. Kein Buch in irgendeiner Form. In öffentlichen Verkehrsmitteln herrschen H & H, Handy und „Heute“.

Warum mir das so auffällt? Warum ich darüber nachdenke? Weil ich in den Neunzigern des vorigen Jahrhunderts noch dachte, ich werde mein Leben lang von meiner Arbeit an Büchern leben. Das glaube ich heute nicht mehr.

Ich wollte immer in der Verlagsbranche arbeiten, als Lektorin. Das habe ich geschafft. Ich kann nichts anderes. Nach vielen Anstellungen in der österreichischen Buchbranche (bei verschiedenen Verlagen, aber auch viele Jahre bei der Buchgemeinschaft Donauland) haben mein Mann und ich im Jahr 2006 einen Verlag gegründet. Mutig, werden Sie jetzt vielleicht sagen. Stimmt.

Die Verlagsbranche steht an einem Wendepunkt. Nicht die elektronischen Medien graben ihr das Wasser ab, sondern das eher neue Phänomen des Nichtlesens. Weil es so viele andere Dinge zu tun gibt. Sinnvolle und weniger sinnvolle. Dinge, die glücklich machen, und solche, die weniger glücklich machen. Lesen hat gegenüber der großen Bandbreite an Freizeitmöglichkeiten das Nachsehen. Das ist eine unbestreitbare Tatsache.

Lesen macht glücklich

Diejenigen, die lesen, beziehen ihre Bücher leider nicht immer beim Buchhändler um die Ecke. Auch aufgrund der simplen Tatsache, dass es den vielleicht schon seit ein paar Jahren nicht mehr gibt, weil er einer Textilkette gewichen ist. Sie beziehen ihre Bücher nicht einmal mehr bei den verbliebenen Buchhandlungen in der City oder im Einkaufszentrum, sondern bestellen im Internet. Das ist schade. Mit jeder Buchhandlung, die in Wien „eingeht“, geht ein Teil jahrzehnte-, jahrhundertealten Kulturguts verloren.

Darf ich schon mit meinen Aufrufen, meinen Brandreden beginnen? Bitte lesen Sie! Hören Sie nicht auf zu lesen. Und wenn Sie nicht lesen, fangen Sie damit an. Es macht glücklich. Und das sage ich nicht, weil ich Verlegerin bin. Die intensive Beschäftigung mit einem Thema, das Hineindenken in andere Leben sind etwas Wunderbares.

Und noch etwas: Bitte kaufen Sie beim stationären Buchhandel. Auch wenn Sie hingehen müssen statt von Ihrem Schreibtisch aus bestellen zu können. Das Stöbern auf den Büchertischen, in den Regalen ist durch nichts zu ersetzen. Auch die kompetente Betreuung durch Buchhändlerinnen und Buchhändler, also durch geschultes Verkaufspersonal, nicht.

Ich fahre in der U-Bahn und habe ein Buch in der Hand. Ganz bewusst. Ich nehme jetzt immer eines mit. Und lese. Selbst wenn ich nicht weit fahren muss. Vielleicht tut es mir jemand gleich. Sicher tut es mir jemand gleich. Lassen Sie uns beginnen, wieder immer ein Buch mitzunehmen. Wohin wir auch gehen. ■


Sibylle Hamtil, Jahrgang 1968, ist Mitbegründerin des Wiener Metroverlags.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2015)

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